Der Blut-Mythos
meiner Welt, und das gab mir Hoffnung.
Danach erst öffnete ich die Augen. Im ersten Moment überfiel mich ein Schreck, weil mich eine so ungewöhnliche Finsternis umgab. Ich hatte damit gerechnet, den Trubel des Rummels zu hören, wo alles seinen Anfang genommen hatte.
Doch, es gab ihn. Meine Ohren mußten sich nur darauf einstellen. Zwar nicht so laut, als wäre ich live dazwischen, aber schon gut zu hören.
Und es war auch nicht so dunkel, wie ich es mir vorgestellt hatte, denn nicht weit entfernt leuchtete ein fahler Schein. Eine Notbeleuchtung, die so etwas wie ein wolkiges Licht abgab, das aber in der Dunkelheit kaum auffiel.
Meine Augen gewöhnten sich an die Umgebung. Fratzen starrten mich an. Über mir hing ein Skelett mit nach unten baumelnden Armen. Aus dem Knochenmaul sprang noch eine dunkle Zunge hervor wie ein breites Band. Links neben mir sah ich einen alten Sarg, dessen Deckel offenstand. Eine bleiche Frauenhand lag wie dekoriert auf dem Sargrand und bewegte sich um keinen Millimeter.
All diese schaurigen Utensilien erschreckten mich nicht. Ich wußte nun genau, wo ich saß.
In der Geisterbahn.
Möglicherweise in einem Abstellraum, denn das Schienenpaar führte nicht in meiner Nähe vorbei. Zudem bewegte sich keine der Gestalten.
Es fehlten auch die üblichen Geräusche. Die Schreie und Rufe der Fahrgäste, das Rumpeln der Wagen über den Schienenstrang, das bösartige Lachen, das schrille Kreischen oder das schaurige Gelächter aus versteckten Lautsprechern.
Ich stand auf.
Meine Knochen taten mir nicht weh. Ich konnte mich normal bewegen, aber ich war doch durcheinander. Mir gefiel die Stille hier in der Geisterbahn nicht. Draußen dagegen lief der Rummel weiter.
Wichtig war, den Raum hier zu verlassen. Es gab genügend Arbeit. Ich hatte Mallmann nicht vergessen. Ebensowenig wie Chronos oder die junge Marita.
Mir fiel auch wieder ein, daß Suko und Shao wie zwei Schemen erschienen waren. Es war durchaus möglich, daß sie sich in meiner Nähe aufhielten.
Irgendwo gab es bestimmt einen Ausgang. Wenn nicht, wollte ich die Dekoration einreißen. Ich tastete die Wände ab, die erst einmal nicht nachgaben. Dann suchte ich im Schein der Lampe nach einem Ausgang, doch jemand anderer kam mir zuvor.
»Bleib noch, John Sinclair…«
Ich drehte mich um. Jetzt konnte ich den Sprecher anschauen. Es war Chronos.
Er stand vor mir als grauweiße Gestalt. Blutbefleckt das Gesicht und trotzdem aschfahl. Dazu die dunklen Augen mit den Blutspritzern im Hintergrund, das offene Maul, als wollte mir Chronos an den Kragen. Aber er hielt mit beiden Händen seine Uhr fest und hatte sich somit selbst in seinen Aktivitäten eingeschränkt.
»Warum sollte ich bleiben wollen?«
»Weil ich es so will und ich dir einige Fragen stellen werde.«
»Du bist ein Vampir«, erklärte ich. »Zwar hat man dich zu einem Blut-Mythos hochstilisiert, letztendlich aber bleibst du ein verdammter Blutsauger. Das solltest du nie vergessen, auch nicht, daß ich geschworen habe, Vampire zu vernichten.«
»Ich weiß es. Man hat es mir gesagt, aber wir hatten auch einen Pakt geschlossen.«
»Habe ich ihn etwa aufgelöst?«
»Ja, das hast du, Sinclair. Du hast dich nicht an die Regeln gehalten. Du bist zu mir gekommen, ohne Marita mitzubringen. Du hast sie in den Klauen des Dracula II gelassen, und er wird sich an ihrem Blut laben.«
»Das steht nicht fest«, antwortete ich gegen meine Überzeugung.
»Doch, ich kenne ihn.«
»Warum sind wir dann nicht in deiner Welt geblieben? Warum hast du uns hervorgeschafft?«
»Weil Dracula II hier sterben soll. Du wirst ihn vernichten, und ich werde dir dabei zur Seite stehen. Aber zuvor will ich eines noch wissen, John Sinclair, wo ist Marita?«
»Ich weiß es nicht. Bei ihm. In dieser Welt wohl nicht - oder?«
Er schüttelte seinen grauen Kopf. »Sie waren da. Ich habe sie gespürt. Sie sind zu mir gekommen, und sie kamen gerade noch rechtzeitig, um in den Sog der Zeit hineinzugeraten. Sie müssen also hier in der Nähe sein.«
»Dann werden wir sie suchen.«
»Ja, das werden wir. Und du wirst an meiner Seite bleiben. Sollte ich merken, daß du dich absetzen willst, werde ich dich in eine Zeit verbannen, aus der es kein Zurück gibt. Ich bin Chronos. Ich habe den Namen des Zeitgottes angenommen, und ich habe immer sehr lange warten müssen. Das ist jetzt vorbei.«
»Einverstanden.« Ich nickte ihm zu. »Gehen wir.«
Chronos ging nicht. Er hatte etwas gehört. Auch ich war
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