Der Blutengel
Schultern anhob.
»Seien Sie nicht enttäuscht, Doktor, aber ich möchte mir erst ein Bild von dieser Iris King machen, bevor ich etwas unternehme oder einen Kommentar abgeben kann.«
»Ja, das verstehe ich. Mit meinen Patienten ergeht es mir genauso.«
»Haben Sie Iris King über meinen Besuch informiert?«
»Nein, das tat ich nicht. Ich wusste nicht, ob es Ihnen genehm gewesen wäre.«
»Gut. Es hätte sie sicherlich zu sehr aufgeregt.«
Dr. Kellerman erhob sich. »Ich denke, dass wir zu ihr gehen sollten. Sie hat etwas getrunken, aber nichts gegessen. Sie wollte auch nicht an den Tropf angeschlossen werden, wir haben ihr allerdings Aufbaupräparate gegeben.«
»Das ist gut.« Ich erhob mich ebenfalls, aber ich hatte noch eine Frage: »Sagen Sie, Dr. Kellerman, was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn es zu einem weiteren Angriff käme oder zu einem erneuten Raub des Hämoglobins?«
Der Arzt strich über seinen Scheitel. »Ich denke, da hätte unsere Patientin ein Problem.«
»Gehen Sie dabei bis zum Schluss?«
»Ja, sie könnte sterben oder in einen komaähnlichen Zustand hineinfallen.
»Danke, das wollte ich nur wissen.«
»Moment, Mr. Sinclair. Rechnen Sie denn mit einem weiteren Angriff und glauben Sie, dass Sie ihn verhindern können?«
»Ich würde es mir wünschen, und zwar beides, weil ich dann wüsste, wer ihr Gegner ist.«
»Und wer könnte es sein?«
Ich schüttele den Kopf und lächelte. »Es tut mir Leid, doch darauf kann ich Ihnen keine konkrete Antwort geben. Ich bin kein Freund irgendwelcher Spekulationen, das müssen Sie verstehen. Auch Sie werden erst eine Diagnose abgeben, wenn alle Fakten feststehen.«
»Genau.«
»Dann lassen Sie uns gehen.«
Wir verließen den Bereitschaftsraum und traten wieder hinein in den Flur, in dem mich wieder die ganze Traurigkeit des alten Krankenhauses überfiel.
Ich blieb an der Seite des Arztes, und das Zimmer hatten wir schnell erreicht. Dr. Kellerman klopfte kurz an, öffnete dann die Tür und schob sich über die Schwelle.
Sehr weit ging er nicht. Er blieb so nahe vor mir stehen, dass ich Mühe hatte, mich an ihm vorbeizudrängen.
Ich sah aus dem linken Augenwinkel zwei alte Frauen. Aber es standen drei Betten im Zimmer, und eines davon war leer.
Auch der Arzt hatte das schnell begriffen. Er drehte sich auf der Stelle und schaute mich an.
»Das verstehe ich nicht.«
»War sie denn so geschafft, dass sie allein nicht laufen konnte?«
»Nein, das war sie nicht. Sie war zwar schwach, aber sie würde nicht umkippen.«
Ich fragte die Frau mit dem einen Auge, die auf der Bettkante saß und uns anschaute.
»Pardon, Madam, wissen Sie vielleicht, wohin ihre Zimmer...«
»Weg.« Die Frau kicherte. »Sie ist weg. Ein junges Ding. Ich war auch mal so jung. Sie hat es einfach zwischen uns alten Vetteln nicht ausgehalten.«
»Hat sie gesagt, wohin sie gehen wollte?«
»Nein. Sie hat sich auch nicht umgezogen. Sie ging weg.«
Einen Grund zur Panik gab es nicht. Viele Kranke verließen ihre Zimmer, um eine Toilette aufzusuchen. Da machte auch Iris King keine Ausnahme. Ich sprach mit dem Arzt darüber, als wir wieder in den Flur traten. Dr. Kellerman reagierte nicht auf mich. Er trat einer Schwester in den Weg, die uns passieren wollte.
»Moment mal, Schwester. Haben Sie vielleicht unsere neue Patientin Iris King gesehen?«
»Ja, Dr. Kellerman.«
»Und wo war das?«
»Hier auf dem Flur. Aber das ist nichts Weltbewegendes. Sie wollte nur zur Toilette.«
»Gut. Nur ist sie noch nicht in ihr Zimmer zurückgekehrt.«
Die Schwester wunderte sich. »Das ist ungewöhnlich, denn unsere Begegnung liegt schon einige Minuten zurück. Aber einen Alarm hat es auch nicht gegeben.«
Der Arzt und ich schauten uns an.
»Ich denke, wir sollten nachschauen«, schlug ich vor, »und zwar so schnell wie möglich.«
Dagegen hatte Dr. Kellerman nichts einzuwenden. Wir mussten auch nicht weit bis zur Toilette gehen, aber kaum hatten wir die Tür erreicht, da hörten wir von innen den Schrei...
***
Iris King wusste nicht genau zu sagen, was es war, aber es war da, und sie erlebte in diesen Augenblicken eine wahnsinnige Angst, die sie alles andere vergessen ließ.
Die Gestalt, die so deutlich für sie zu sehen war und doch nicht gefasst werden konnte, raste auf sie zu. Sie war wahnsinnig schnell, sie war wie ein Hauch, der sie überfiel, und sie war plötzlich nicht mehr diejenige, die sie hätte sein sollen.
Iris erlebte die Kälte, die sie wie ein Mantel
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