Der Blutengel
Eingang zu gehen.
Man hatte über Londoner Krankenhäuser viel geschrieben. Zumeist nur negativ. Auch durch das Fernsehen waren Missstände aufgedeckt worden. Da ich zahlreiche Krankenhäuser von innen her kannte, musste ich den Berichterstattern in vielen Punkten Recht geben. Und so war ich jetzt gespannt darauf, was mich erwartete.
Dr. Kellerman hatte bereits an der Anmeldung Bescheid gegeben, dass er Besuch erwartete. So nickte mir der Mann zu und schickte mich in die erste Etage.
Ich ging die Treppe hoch. Um den Krankenhausgeruch kümmerte ich mich nicht. Ich mochte ihn nicht, denn er war mir schon immer zuwider gewesen.
In der ersten Etage fand ich zunächst zwei alte Bänke, auf denen Kranke mit ihren Besuchern saßen. Die Wände waren gelb gestrichen und hätten einen Nachstrich gebrauchen können. Drei Ersatzbetten Standen nebeneinander wie zu einer Parade vereint, und die Kugellampen an der Decke zeigten die dunklen Spritzer der Fliegenschisse. Wenn ich ehrlich war, musste ich der Kritik Recht gegeben. In diesem Krankenhaus wäre bestimmt keine TV-Serie gedreht worden.
Ich betrat einen Flur und wollte mich nach Dr. Kellerman umschauen, als mir eine Schwester mit rot gefärbten Haaren entgegenkam. Es war zu sehen, dass sie auf mich gewartet hatte.
»Mr. Sinclair?«
»Das bin ich.«
»Ich bin Schwester Margret. Dr. Kellerman hat mich geschickt. Ich führe Sie zu ihm.«
»Danke.«
Es war nur ein kurzer Weg. Die düstere Umgebung schaute ich mir lieber nicht an. Wer hier durch die Gänge schlich, der wurde bestimmt noch kranker.
»Hier sind wir.« Die Schwester klopfte kurz an und verabschiedete sich mit einem Lächeln.
Ich öffnete die Tür. Im Zimmer standen schmale Betten, aber es gab auch einen Tisch und Stühle. Und es gab Dr. Kellerman, der sich erhob und mir entgegenkam.
Er war kleiner als ich, sicherlich auch älter, und er trug sein graues Haar gescheitelt. Die Augen blickten mir klar entgegen, und auf seinen Lippen hatte sich ein Lächeln festgesetzt.
Wir reichten uns die Hände. Dr. Kellerman erklärte mir, dass er sich freue, den Mann kennen zu lernen, über den sein Clubfreund Sir James Powell schon einiges berichtet habe.
»Das dürfen Sie nicht alles glauben, Doktor.«
»Nein, nein, ich denke eher, dass der gute Sir James untertrieben hat. Er wollte die Dinge mehr unter der Decke lassen.«
»Was zumeist auch besser ist. Auf Popularität kann ich wirklich verzichten.«
»Sehr löblich. Aber nehmen Sie doch bitte Platz. Bevor wir uns die Patientin anschauen, sollten wir ein paar Sätze miteinander sprechen.«
»Ich habe nichts dagegen.«
Wir nahmen an dem nicht sehr großen Tisch Platz, und der Arzt wollte wissen, wie weit ich eingeweiht war.
»Insoweit, was Sie Sir James erzählt haben.«
»Ja, das dachte ich mir. Um es noch mal darzulegen, ich stehe hier vor einem Phänomen. Man hat dieser jungen Frau tatsächlich das Hämoglobin geraubt. Jemand wollte ihre roten Blutkörper haben, wobei sie nicht die einzige Patientin ist, der das widerfuhr. Außer ihr gibt es noch fünf andere, die in verschiedenen Krankenhäusern liegen und von meinen Kollegen beobachtet werden.«
»Ist Iris King denn ansprechbar?«, erkundigte ich mich.
»Ja, das ist sie. Allerdings muss ich Sie gleich auf ihre Schwäche hinweisen. Man kann es mit einem großen Blutverlust vergleichen, Mr. Sinclair, den jemand erlitten hat. Wir werden uns noch einige Tage um sie kümmern und versuchen, die Patientin wieder richtig auf die Beine zu bekommen. Sie wird entsprechende Infusionen erhalten. Mehr können wir nicht tun. Wir sind nur für den Körper zuständig und nicht für die Seele oder für das, was damit zusammenhängt. Das ist, denke ich, Ihre Sache.«
»Ich bin kein Psychologe.«
»Das weiß ich doch. Aber wie soll ich sonst an die junge Frau herankommen. Sie brach in einer Disco zusammen und hatte kurz vor dem Zusammenbruch noch ein schreckliches Erlebnis. Sie fühlte sich von einem Geistwesen angegriffen und erlebte dazu noch eine Wand aus Blut und Feuer. Für Iris King sind es drei Tatsachen, von denen sie nicht abweichen will. Ich allerdings habe meine Probleme.«
»Das ist ganz natürlich, Doktor.«
»Und wie sehen Sie das? Ich meine, Sie werden ja mit den unmöglichsten Fällen und Vorgängen konfrontiert. »
»Das stimmt wohl.«
»Haben Sie denn eine Lösung?«
So einfach lagen die Dinge nicht. Das sagte ich Dr. Kellerman auch, der einen leicht enttäuschten Gesichtsausdruck zeigte und die
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