Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
keine gibt“, sagte Margarete, um die Ehre des Lehrers zu retten. Dennis schenkte ihr ein dankbares Lächeln. „Und dass ich deshalb nichts Sicheres über sie sagen kann.“
„Aber sie zerfallen im Sonnenlicht zu Staub? Das stimmt doch, oder?“
Über mangelnde Beteiligung konnte sie sich nicht beklagen. Seit sie das Klassenzimmer betreten und Dennis sie mutig als Spezialistin für Magie und Übersinnliches vorgestellt hatte, waren die Kids kaum mehr zu bändigen. Ein Zaun aus Armen erhob sich aus dem Stuhlkreis, der gebildet worden war. Man saß so weit wie möglich außen, denn für die Stunde waren die Klassen 5a und 5b zusammengelegt worden, damit alle etwas von dem seltenen Gast hatten. Gut sechzig Kinder und zwei Lehrer hingen an Margaretes Lippen, und sie hätte sich gewünscht, dass ihr auf Falkengrund immer ein solches Interesse entgegengebracht worden wäre.
Frau Reich, eine hagere Frau undefinierbaren Alters mit störrischen Kraushaaren und einer riesigen roten Brille auf der spitzen Nase, war die Lehrerin der Parallelklasse. Als Einzige musterte sie die Besucherin skeptisch, und die Dozentin hatte von Dennis hinter vorgehaltener Hand erfahren, dass sie dem Rektor gegenüber versucht hatte, den gemeinsamen Unterricht platzen zu lassen. Gerne hätte sie gewusst, ob Frau Reich weltanschauliche Vorbehalte gegen sie hegte oder ob sie sie schlicht für eine Betrügerin hielt. Aber zu einem Gespräch unter vier oder sechs Augen war keine Gelegenheit gewesen.
Margarete hatte sich einen kurzweiligen kleinen Vortrag zurechtgelegt, fand jedoch keine Gelegenheit, ihn zu halten, da die beiden Lehrer der Flut der Wortmeldungen nicht Herr wurden. Also versuchte sie nach Kräften, kurze Antworten auf die einfachen Fragen zu geben. Die meisten Schüler wollten wissen, ob es dieses oder jenes Fabelwesen wirklich gab, mehrere Mädchen erkundigten sich, wie Liebeszauber funktionierten, und ein Junge wollte eine genaue Bauanleitung für eine Voodoo-Puppe. Sie erkämpfte sich fünf Minuten Stille, als sie ein paar harmlose magische Zeichen an die Tafel malte, die einer alten Zigeuner-Überlieferung zufolge Gesundheit bringen sollten. Da man die Tische an den Rand gestellt hatte, balancierten die Schüler ihre Hefte auf den Knien, während sie die Symbole akribisch abmalten. Dabei ließen sie keine Gelegenheit aus, die Versuche ihrer Nebensitzer eifrig zu kritisieren.
Gegen Ende der Stunde meldete sich ein aschblondes, blasses Mädchen mit großen, traurigen Augen. Margarete war nicht sicher, ob sie die Wortmeldung des Kindes bisher übersehen hatte oder ob es erst jetzt, wo sich bei den eifrigeren Schülern erste Ermüdungserscheinungen zeigten, zum ersten Mal die Hand hob.
„Sandra“, rief Dennis sie auf. Er räusperte sich, und Margarete bemerkte, dass er sie mit außergewöhnlich intensivem Blick von der Seite ansah.
„Frau Maus“, begann sie. „Im Gang vor dem Zimmer steht ein Ungeheuer. Können Sie mir helfen?“ Sie leierte die Worte herunter, als wäre es ein auswendig gelernter Text. Sie musste die Frage schon hundert Mal in Gedanken umhergewälzt haben.
Offenes Gelächter erscholl im Raum. Das Mädchen schien nur im ersten Augenblick davon gestört zu werden. Dann trat ein starker, kämpferischer Ausdruck in das kleine Gesicht.
„Ist es jetzt da?“, hakte Margarete ruhig nach, der das Mädchen sofort leid tat. „Kannst du es mir zeigen?“
Sandra schüttelte den Kopf – wobei „schütteln“ es nicht recht traf. Sie bewegte den Kopf kaum merklich hin und her. „Es wartet nur auf mich, wenn ich zu spät komme. Der Gang muss ganz leer sein, sonst ist es nicht da.“
„Hören Sie nicht auf sie“, warf ein Junge altklug ein. „Sie ist ein bisschen bananas.“
„Lukas!“ Dennis Harbach fixierte den Jungen.
Die beiden Klassen brachen erneut in Gelächter aus. „Sie ist nicht bananas“, rief jemand. „Sie ist … apples und oranges.“ – „Grapes!“, bot ein weiterer an. „Blueberries!“
„Crazyberries“, versuchte es ein vierter und erntete dafür Beifall. Man wurde sich schnell einig, dass Sandra crazyberries war, und zwar very crazyberries.
„Euer Englisch ist wirklich nicht schlecht für die fünfte Klasse“, meinte Margarete, die sich ein wenig ärgerte, dass die Lehrer nicht eingriffen. „Aber ihr habt offensichtlich keine Ahnung von dem Okkulten. Sonst wüsstet ihr nämlich, dass es Ungeheuer tatsächlich gibt.“
Das Gelächter verstummte schlagartig. Ein Junge, der
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