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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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riesige, abgegriffene Atommodelle hierher verirrt und ein Kunststoffmensch, bei dem man den Bauch öffnen und die Organe einzeln herausnehmen konnte. Auch die Kunstlehrer schienen mit den ihnen zugeteilten Räumlichkeiten nicht auszukommen, denn glotzäugige afrikanische Masken aus Holz stapelten sich in trauter Gemeinschaft mit bunten Pappmaché-Figuren im Regal und auf dem kleinen Tisch. Jemand hatte es sogar geschafft, auf dem Schrank ein riesiges, vorsintflutliches Tonbandgerät zu verstauen. Wahrscheinlich hatte es seit Jahrzehnten niemand mehr benutzt. Es füllte so perfekt den Raum zwischen Schrank und Zimmerdecke aus, dass es niemanden zu stören schien.
    Heidelinde Reich störte es schon. Wenn es nach ihr ginge, wäre hier schon lange einmal gründlich ausgemistet worden. Mindestens die Hälfte der hier lagernden Gegenstände waren ein Fall für die Müllabfuhr. Aber in solchen Dingen hatten die älteren Kollegen das Sagen, und diese hingen an dem Unrat wie an ihren längst aus der Mode gekommenen Anzügen.
    Es ging auf 17 Uhr zu. Der Nachmittagsunterricht war beendet, sogar die Kinder von der Theater-AG waren eben nach Hause gegangen, und die meisten Kollegen hatten Feierabend gemacht. Auch Heidelinde Reich war schon auf dem Weg in die Tiefgarage gewesen, als ihr einfiel, dass sie irgendwo in einem der Schränke ein Modell eines Kernkraftwerks gesehen hatte. Morgen würde sie das Thema in Geografie behandeln, und es war vielleicht nicht schlecht, wenn sie neben den Folien noch etwas Dreidimensionales zu bieten hatte.
    Ihr Generalschlüssel öffnete die stets verschlossene Tür, und der Geruch von Staub schlug ihr entgegen. „Vielleicht sollte man die Putzfrau mal darauf hinweisen, dass diese Tür nicht aufgemalt ist“, brummte sie. Ihre Hausstauballergie machte sich durch mehrmaliges Niesen bemerkbar, und jedes Mal wirbelte sie mehr von dem flaumigen Schmutz auf. Schniefend zog sie ein Taschentuch aus der Hose und hielt es sich vors Gesicht. Besser. Wo war nun das AKW?
    Sie schob einen Overhead zur Seite, bis die Rollen auf Widerstand stießen. Übellaunig vergrub sie sich in dem Unrat, der die unteren Fächer des Schranks füllte. Tafellineale. Leere CD-Hüllen. Büroablagen. Halb ausgedrückte Klebstofftuben. Ein Modellflugzeug.
    Ganz hinten schimmerte etwas Helles, und sie war ziemlich sicher, dass es sich um den gesuchten schnellen Brüter handelte. Sie versuchte das Objekt zu erreichen, doch dabei stieß sie mit der Schulter gegen den Tageslichtprojektor. Es fehlten noch zehn Zentimeter, dann hatte sie es.
    Also musste der Overhead weiter aus dem Weg. Sie drückte noch einmal dagegen, doch er bewegte sich nicht. Seine Rollen hingen irgendwo fest. Die dicken Staubflusen ignorierend, mit denen der Boden übersät war, sah sie nach, was das Hindernis war.
    Und ließ vor Schreck das Taschentuch fallen.
    Zwischen den dicken, rostigen Beinen des Eisenregals und den Rollen des Overhead-Projektors lag ein großes dunkelbraunes Stück Stoff auf dem Boden. Es hatte zottige Haare, und es war nicht nur Stoff – die Lehrerin konnte Krallen und Zähne erkennen.
    Ein Bärenfell.
    Sie stand auf, zog den Projektor zurück. Das AKW war vergessen.
    Heidelinde Reich bückte sich nach dem Fell und schüttelte den Kopf.

7
    Es war beinahe 18 Uhr, als Dennis Harbach den Raum für Lehrmittel betrat. Die letzten drei Stunden hatte er unten im Lehrerzimmer mit dem Korrigieren von Klausuren verbracht. Normalerweise erledigte er diese Arbeit lieber zu Hause, doch seit zwei Wochen wurde direkt vor dem Fenster seines Arbeitszimmers ein achtstöckiges Haus in die Höhe gezogen, und der Lärm war unbeschreiblich. Glücklicherweise war abends um sechs Schluss, und wenn er sich jetzt auf den Heimweg machte, würde ihn eine ruhige Wohnung erwarten – und eine saubere Wohnung, falls er nicht irgendein Fenster zu schließen vergessen hatte …
    Ehe er den Heimweg antrat, wollte er noch die Mittelmeer-Karte heraussuchen, die er morgen im Unterricht brauchen würde. Er wunderte sich, dass die Tür nicht wie sonst abgeschlossen war. Da war einer seiner Kollegen wohl in Gedanken schon bei den Feierabendaktivitäten gewesen – nur zu verständlich. Auch Dennis hatte in den letzten Stunden nicht nur an Schulisches gedacht. Vor allem war ihm Margarete Maus im Kopf herumgegangen. Sie hatte ein wenig müde ausgesehen, als hätte sie viel Stress, aber ihrer Wirkung auf ihn hatte das keinen Abbruch getan. Eine ganze Handvoll unbefriedigender

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