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Der Blutkelch

Der Blutkelch

Titel: Der Blutkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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»Hattest du nicht gesagt, wir wollten sie zu dir schaffen?«
    Sie bedachte ihn mit einem schelmischen Grinsen.
    »Hab ich das? Na ja, es ist nur, falls …«
    Eadulf gab einen Seufzer von sich und griff mit zu.
     
    In der Kapelle saßen schweigend zwei Mitglieder der Gemeinschaft und hielten die traditionelle Totenwache. Nichts bewegte sich, nur die Kerzen flackerten, die am Kopf- und Fußende der Bahre, der
fuat
, aufgestellt waren, auf der man den Toten zum Friedhof tragen würde. Die Stille war ungewöhnlich. Sonst gab es bei derartigen Anlässen die Totenklage, die
laithina canti
, mit Händeklatschen und lautem Wehklagen, hier aber geschah nichts dergleichen. Wiederum war zu bedenken, dass viele Anhänger des Neuen Glaubens für die aus alten Zeiten überlieferten Bräuche nichts übrig hatten. Einige wenige Mitglieder der Bruderschaft, wie zum Beispiel Abt Iarnla und Bruder Lugna, ließen sich kurz in der Kapelle sehen und erwiesen dem Toten die Ehre. Bruder Donnán kam mit Gúasach, von dem man als Pflegesohn und Lehrling Glassáns selbstverständlich erwartete, dass er dort erschien. Doch weder Saor noch einer der Bauarbeiter tauchte auf, was Fidelma und Eadulf befremdlich fanden, die ihrerseits, wie es ihre Position verlangte, eine angemessene Zeit bei dem Toten verbrachten. Gormán hielt sich in gebührendem Abstand im Hintergrund.
    Beim Abendessen erwähnte der Abt in seinen Gebeten auch den Baumeister, und da Bruder Lugna die Mahlzeit zum Totenmahl erhoben hatte, hielt er eine kurze Lobesrede auf Glassán und seine Arbeit an der Abtei. Sonst stand niemandauf, um den Baumeister zu würdigen oder sein Dahinscheiden zu beklagen. Auch jetzt fiel Fidelma und Eadulf auf, dass Saor und seine Leute nicht anwesend waren. Sie hatten erwartet, dass zumindest Lady Eithne erscheinen würde, um Glassán die letzte Ehre zu erweisen, war sie doch die treibende Kraft hinter dem Baugeschehen in der Abtei. Ohne ihren Einfluss und ihre Spenden wäre es nie zu den Umbauten gekommen.
    Kurz vor Mitternacht begann die Totenglocke zu läuten; ihr feierlich ernster Klang hallte durch die Gebäude der Abtei. Die Brüder versammelten sich auf dem Innenhof, und man trug die Bahre mit dem in ein weißes Leichentuch gehüllten Toten aus der Kapelle. Einige Mönche hielten Laternen in den Händen, die das Schauspiel in ein gespenstisch flackerndes Halblicht hüllten, in dem groteske Schatten hin und her hüpften.
    Fidelma, Eadulf und Gormán schlossen sich den anderen an und fragten sich, ob Saor und seine Bauarbeiter tatsächlich der Bestattung ihres Meisters fernzubleiben gedachten. Doch dann tauchten sie alle, angeführt von Saor, an den Toren der Abtei auf. Fast hatte Fidelma den Eindruck, sie schlossen sich nur zögernd der Trauergemeinde an. Missgestimmt trotteten sie hinter der Bahre her, die von vier Mönchen getragen wurde. Abt Iarnla führte die kleine Prozession an. Trotz der Spannungen, die es innerhalb der Bruderschaft gab, waren fast alle führenden Mitglieder der Gemeinschaft zugegen – Bruder Lugna, Bruder Seachlann, Bruder Donnán, Bruder Máel Eoin, Bruder Echen und sogar Bruder Giolla-na-Naomh, der Schmied.
    Abt Iarnla hob seinen Amtsstab und wandte sich an die Versammelten. Mit lauter Stimme sprach er die von der Tradition vorgeschriebenen Worte: »Das Grab hat die Maße, wie es der

verlangt, der Bestattung steht nichts im Wege.«
    Der

war ein Messstab für das Ausheben des Grabes. Ihn umgab eine Aura des Schreckens, und das einfache Volk mied ihn. Nur der Totengräber durfte ihn anfassen, denn man glaubte, über jeden anderen brächte der Stab Unglück und Tod.
    Begleitet von dem Gesang der Mönche, setzte sich der Zug der Trauernden in Bewegung.
    Hymnum dicat turba fratrum
    Hymnum cantus personet …
     
    Singet, Brüder, laut die Hymne,
    Lobpreist dankbar Gottes Tun …
    Brüder mit hoch erhobenen Laternen führten die Prozession an. Gemessenen Schrittes bewegte man sich durch die Tore der Abtei in östlicher Richtung, wo zwischen hohen Eiben der Klosterfriedhof lag. Dort warteten bereits die Totengräber. Mit der letzten Strophe erstarb der Gesang, und man gruppierte sich um das ausgehobene Grab, das – wie es die Tradition verlangte – mit Ginster ausgekleidet war. Man trug die Bahre an den Rand des Grabes und ließ den Leichnam in die Tiefe hinab. Ein Totengräber trat hervor, zerschmetterte die Bahre und ließ die Bruchstücke dem Leichnam folgen. Eine Bahre, auf der ein Toter zu Grabe getragen

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