Der Blutkelch
entziffern.
»Ich, Glassán, ursprünglich zu den Uí Dego in Ferna gehörig, bekenne mich in Gegenwart des Brehon Lurg der Uí Briuin Sinna vor Christus als Sünder. Als Sünder und Verbannter bin ich ein Ausgestoßener, ich habe keinerlei Blutsverwandte, weder Frau noch Kind, die für meinen Unterhalt sorgen könnten. Im Falle meines Todes soll das Wenige, das ich hinterlasse, verwendet werden, eine etwaige Schuld zu begleichen. In Sonderheit soll mein Hof im Land der Uí Briuin Sinna dem Herrscher jenes Volkes übergeben werden, der mir im Exil Beistand geleistet hat. Ich vertraue darauf, dass er den Forderungen meiner Gläubiger und Pächter nach bestem Wissen und Gewissen nachkommt. Ich habe einen Jungen in Pflegschaft. Sollte mich der Tod ereilen, ehe er das Alter der Wahl erreicht und seine Ausbildung vollendet hat, sollen die geleisteten Zahlungen für die Pflegschaft in voller Höhe an seinen Vater zurückerstattet werden, so wie es das Gesetz verlangt. Weiterhin verfüge ich, dass er aus meinen Ersparnissen den Ehrenpreis seines Vaters erhält, damit er zu jemand anderem in Pflege gegeben werden und die Ausbildung zum Baumeister fortsetzen kann. Angesichts des Todes bereue ich aufrichtig alle bösen Taten in meinem Leben undalle Sünden, die ich aus Gedankenlosigkeit oder Unachtsamkeit begangen habe.
Ego contra erravi, ignosco mihi, quaeso!«
Eadulf hatte ihr über die Schulter geschaut und brummte nur spöttisch.
»Das Schuldbekenntnis und die Bitte um Vergebung in kläglichem Latein hat bestimmt der Brehon dazugeschrieben, der den Letzen Willen aufgesetzt hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Glassán von Latein eine Ahnung hatte.«
»Aber immerhin bedeutet es, dass Glassán sich zu seiner Vergangenheit bekannte und dass er pflichtbewusst genug war, Vorsorge für Gúasach zu treffen. Ein vollkommen schlechter Mensch war er also nicht.«
»Wahrscheinlich nicht«, gab Eadulf zögernd zu. »Was geschieht jetzt mit Gúasach?«
»Der Letzte Wille, der Pflegesohn, all die Geldbeutel hier und seine Habseligkeiten gehen an Brehon Lurg nach Connachta.«
»Was treibt ihr hier?« Die schneidende Stimme von Bruder Lugna, der plötzlich im Türrahmen stand, schreckte sie auf.
Fidelma drehte sich zu ihm um und sah ihn mit gelassener Miene an.
»Glassán ist unter höchst merkwürdigen Umständen zu Tode gekommen«, entgegnete sie und erhob sich. »Es ist mein gutes Recht, alles zu untersuchen, was diese Begleitumstände erhellen könnte.«
»Eigentlich bist du hier, um im Todesfall von Bruder Donnchad zu ermitteln und nicht in dem von Glassán«, widersprach der Verwalter.
»Als
dálaigh
steht es mir zu, alles zu untersuchen, was ich für relevant halte. Du solltest das wissen. In der Truhe hierbefanden sich der Letzte Wille des Baumeisters, Münzen und einige persönliche Dinge. Ich werde die Truhe verriegeln und in meine Schlafkammer schaffen lassen, sodass sie zu gegebener Zeit zusammen mit Gúasach nach Connachta geschickt werden kann. Im Letzten Willen steht, dass der Junge einer der Begünstigten ist.«
Bruder Lugna schluckte heftig. Es ging ihm deutlich gegen den Strich, dass sie ihm beim Durchsuchen der Kammer zuvorgekommen waren.
»So zu handeln ist wohl dein Recht«, gestand er ihr widerstrebend zu.
»Genau«, entgegnete sie bissig und sah ihn abwartend an. »Ich wollte nur dafür sorgen, dass seine Habe in sicherer Obhut ist«, murmelte er und wich ihrem Blick aus.
»Darauf kannst du dich verlassen, es hat alles seine Ordnung.«
»Der Leichnam ist in die Kapelle gebracht worden. Bis Mitternacht wird Totenwache gehalten, dann ertönt die Totenglocke und ruft die Mitglieder der Gemeinschaft, den Toten zur letzten Ruhestätte zu begleiten«, fuhr der Verwalter verdrießlich fort. »Er war kein Mitglied der Bruderschaft und hat auch keinen Blutsverwandten unter uns, deshalb werden nur zwei unserer Brüder die Totenwache in der Kapelle halten. Als Totenmahl wird unser Abendessen dienen müssen.«
Fidelma neigte den Kopf.
»Wir werden zugegen sein, Bruder Lugna«, sagte sie ernst.
Er rang mit sich, als wollte er noch etwas sagen, blickte dann aber zu Boden, drehte sich um und verließ den Raum.
»Er sah enttäuscht aus«, murmelte Eadulf. »Glaubst du …« Er deutete mit dem Kopf auf die Geldbeutel.
»Hilf mir die Sachen zusammenzupacken«, bat sie ihn undvermied eine Antwort auf seine unausgesprochene Frage. »Wir werden sie in deine Kammer bringen.«
Er zog die Stirn in Falten.
Weitere Kostenlose Bücher