Der Blutkelch
Ländereien Lady Eithnes als Bußgeld eingezogen, und dieser Grund und Boden wird nun mit allen Erträgen, die er hervorbringt, dem Kloster übereignet. Ich vermute, Abt Iarnla wird mit diesen ihm zufließenden Mitteln die Arbeiten unter einem neuenBaumeister und seinen Handwerkern zum Abschluss bringen.«
Eadulf hatte noch mehr auf dem Herzen. »Bruder Donnán tut mir aufrichtig leid. Er ist in Lady Eithnes Gespinst von Mord und Ränkespiel eingefangen worden, ohne zu begreifen, wohin das führen würde.«
»Bruder Donnán will Wiedergutmachung leisten, indem er die zerstörte Bibliothek von Faer Maighe neu aufbauen hilft. Freilich, ist eine Handschrift erst einmal verbrannt und existieren keine Abschriften davon, dann ist es wie die Vernichtung eines Menschenlebens. Das Buch gibt es nicht mehr und wird es nie wieder geben. Es ist geradezu wie ein Mord. Doch um wen es mir wirklich leidtut, das ist Bruder Gáeth. Er hat bei diesen schrecklichen Geschehnissen den größten Verlust erlitten. Er hat Donnchad verloren, seinen einzigen Freund.«
»Aber er ist doch nicht länger verdammt, als
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sein Leben zu fristen. Stammesfürst Uallachán hat sich klar dazu geäußert, und der Abt muss sich nicht länger an die Weisungen der Gutsherrin gebunden fühlen.«
»Das stimmt schon. Dem Gesetz nach ist er ein freier Mann. Doch das Schicksal ist harsch mit ihm umgegangen. Für den Rest seines Lebens wird er Ackerknecht bleiben, der für die Abtei arbeitet. Sein Geschick hat ihn für nichts anderes vorbereitet. Er wird weiter nichts Schlimmes zu befürchten haben, doch hätten sich die Dinge für ihn anders gestaltet, dann …«
»Und was wird mit der Abhandlung, in der Donnchad dargelegt hat, warum er seinen Glauben verloren hat? Er hatte sie Bruder Gáeth zur Verwahrung anvertraut.«
»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Brehon Aillín hat sie als Beweis für Donnchads Geistesverfassung anerkannt.Aber man kann sie weder in Acht und Bann tun noch dem Meinungsstreit freigeben. Vorläufig jedenfalls wird sie weiterhin unbehelligt im Hügel der Toten verborgen bleiben.«
Eadulf stand auf und warf den Zittergrasstängel in den Fluss, sah noch ein Weile zu, wie sich der Halm im Strudel drehte und verschwand. Schließlich zuckte er die Achseln und schaute zum Himmel hoch. Dort zogen sich Wolkenschleier zu kleinen Haufenwolken zusammen und türmten sich übereinander. »Ein Wetterumschwung kündigt sich an«, murmelte er. »Ist ja auch lange genug warm gewesen. Wäre kein Wunder, wenn’s bald regnete.«
Fidelma stellte sich neben ihn und schaute gleichfalls nach oben. »Wollen wir hoffen, dass wir nicht in ein Unwetter geraten, bevor wir Cashel erreichen«, war ihre Antwort.
»Und was wird, wenn wir Cashel erreichen?«
Sie sah ihn bekümmert an. »Ich habe mich bereits entschieden, Eadulf. Nun musst du deine Wahl treffen.«
ANMERKUNG ZU DEN HISTORISCHEN QUELLEN
Der Leser muss sich nicht mit der Geschichte des frühen Christentums befassen, um nachempfinden zu können, welchen Zweifeln und Widersprüchen Bruder Donnchad in unserem Roman ausgesetzt ist. Auch muss er nicht einfach den Wahrheitsgehalt der Schilderungen hinnehmen oder gar glauben.
Dem Autor lag daran, deutlich zu machen, dass die aus seinen Nachforschungen gewonnenen Erkenntnisse den hochgebildeten Mönch aufs tiefste beeinflussten, wie sie schon anderen in den Jahrhunderten vor ihm lebenden Gelehrten und Kirchenlehrern keine Ruhe gelassen hatten. Fidelma sagt in ihrem Plädoyer, es sei jedem freigestellt, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob Donnchad angesichts der sich ihm eröffnenden historischen Umstände zu Recht oder zu Unrecht seinen Glauben verlor.
Den Lesern, die sich näher dafür interessieren, sei als verbürgte Tatsache mitgeteilt, dass, nachdem das Christentum sich als Staatsreligion im römischen Reich durchgesetzt hatte, viele zeitgenössische Werke in den ersten Jahrhunderten verfälscht oder vernichtet wurden, sobald man gewahr wurde, sie stünden im Gegensatz zu den von der Führungsschicht der christlichen Bewegung verkündeten Dogmen oder könnten gar eine Bedrohung des Glaubens darstellen.
Dennoch sind einige der umstrittenen Texte erhalten geblieben, wie zum Beispiel Briefe von Plinius d. J. (61/62 bis 113), der in den frühen Christen nichts weiter als
hetaeria
oder einen politischen Klub sah. Der neuplatonische Philosoph Porphyrios von Tyrus (234–305) bezeichnete sie in seinem Werk
Adversos Christianos
als eine
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