Der Blutkelch
Angehörigen der Abtei handelte.
Fidelma machte dem betretenen Schweigen, das folgte, ein Ende. »Im Namen meines Bruders, des Königs, und im Namen unserer Familie möchte ich zuallererst unser Mitgefühl aussprechen angesichts des großen Verlusts, den du erlitten hast, Lady.« Die Beileidsbekundung war nicht mehr und nicht weniger als eine übliche Gepflogenheit.
»Vielen Dank für eure Anteilnahme«, entgegnete Lady Eithne förmlich. »Wirst du die Angelegenheit rasch klären können?«
»Wir haben gerade erst begonnen, über die Umstände zu sprechen, die zu dem tragischen Tod deines Sohnes führten«, erwiderte Fidelma.
Lady Eithne sah sie traurig an. »Du brauchst keine Rücksicht auf meine Gefühle zu nehmen. Ich habe meine Trauer zur Genüge zur Schau getragen und versuche jetzt, in aller Stille mit meinem Kummer zurechtzukommen. Ich will nur hoffen, dir gelingt es, und zwar so schnell wie möglich, zu ergründen, wer für seinen Tod verantwortlich ist.«
»Wenn wir richtig verstanden haben, warst du wahrscheinlich die letzte Person, die mit ihm hat sprechen können. Es heißt, Bruder Donnchad hätte sich seit seiner Rückkehr von der Pilgerfahrt in zunehmendem Maße auf unerklärliche Weise verändert.«
»Verändert?«, wiederholte Lady Eithne wie abwesend.
»So verändert, dass sich der Verwalter der Gemeinschaft, Bruder Lugna, veranlasst sah, dich in die Abtei zu bitten, um mit ihm zu reden. Man hat mir berichtet, Bruder Donnchad hätte sich von den anderen Brüdern zurückgezogen und sprach mit keinem von ihnen. Auch die Andachten der Abtei soll er nicht mehr besucht haben.«
»Das ist richtig«, bestätigte Lady Eithne.
»Du bist der Bitte des Verwalters nachgekommen undwarst folglich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die letzte Person, die deinen Sohn vor seinem Tod gesehen hat.«
Lady Eithne nippte an ihrem Met, setzte das Glas auf einem Seitentisch ab und nickte.
»Außer der Person, die ihn ermordet hat«, stellte sie pedantisch fest. »Als Bruder Lugna nach mir sandte, hat mich seine Nachricht in große Unruhe versetzt. Er legte mir nahe, herzukommen und mit meinem Sohn zu sprechen, weil ich vielleicht die Ursache für sein Verhalten ergründen könnte.«
»Und ist dir das gelungen?«, fragte Eadulf in aller Ruhe.
»Donnchad sagte, er fürchte um sein Leben. Er sprach von Intrigen und Missgunst, die er in der Abtei spürte. Es gäbe da jemand, der ihm seine kostbaren Manuskripte neidete, Manuskripte, die er von seiner herrlichen Reise mitgebracht hatte.«
Fidelma entging nicht die leichte Rötung, die bei Abt Iarnla am Hals aufstieg und sich bis in die Wangen ausbreitete. Er öffnete den Mund und war im Begriff, sich zu äußern. Rasch kam ihm Fidelma zuvor.
»Hat er dir das so deutlich gesagt?«
»Ja.«
»Du weißt natürlich, dass – wie man mir berichtete – keinerlei Manuskripte oder Artefakte in seiner Zelle gefunden wurden?«
Lady Eithne hielt ihrem Blick stand. »Das ist mir bekannt, ja.« Die Antwort kam auffallend energisch.
Fidelma stutzte bei dem Tonfall. »Du glaubst, wer immer der Mörder deines Sohnes war, hat auch die kostbaren Manuskripte mitgehen lassen?«
»Genau so ist es.«
»Und du hast die Handschriften gesehen, als du deinen Sohn besuchtest?«
»Ja. Just an dem Tag, wenige Stunden vor seinem Tod.«
Fidelma lehnte sich zurück, schaute rasch von Abt Iarnla zu Bruder Lugna und wieder zurück zu Lady Eithne.
»Es tauchte schon die besorgte Frage auf, ob es solche Manuskripte überhaupt gab.«
Abt Iarnla starrte ins Feuer, der Verwalter hingegen errötete, und Lady Eithnes Mund verzog sich zu einem mitleidigen Lächeln, aber sie schwieg.
»Als dein Sohn dir gegenüber erwähnte, er fürchtete, man würde ihm die Schriftrollen stehlen, hat er da von einer besonderen Bedrohung gesprochen?«, fragte Fidelma.
»Nein, aber das habe ich bereits gesagt.«
»Dann könntest du vielleicht seine Worte wiederholen – wortwörtlich –, möglicherweise erschließt sich aus ihnen etwas Genaueres«, schlug Eadulf vor.
Lady Eithnes Unterkiefer verkrampfte sich merklich. Fidelma griff flugs ein. Es durfte nicht der Eindruck entstehen, dass Eadulfs Bemerkung die Wahrhaftigkeit ihrer Aussage in Frage stellte. »Eadulf hat recht. Wenn du uns seine Formulierung wiedergeben könntest, hilft uns das vielleicht, die Wurzel seiner Ängste zu erkennen.«
Lady Eithne entspannte sich und überlegte ein Weilchen, als versuchte sie sich zu erinnern.
»Er sagte, der Glaube
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