Der Blutkelch
ansehnliche Summe«, sagte Eadulf rasch und überspielte das peinliche Schweigen.
»Nicht gerade erheblich für die vielen Jahre des Lernens, die einer in allen Künsten und dem Handwerksgewerbe hinter sich bringen muss«, verteidigte sich Glassán. »Die Verantwortung, die man bei der Oberaufsicht über all dieseBauwerke hat, ist wirklich beträchtlich. Du musst Meister in verschiedenen Gewerken sein, musst dich auch auf Steinmetz- und Zimmermannsarbeiten verstehen.« Er bedachte seinen ruhigen Begleiter mit einem herablassenden Blick. »Dankenswerterweise nimmt unser Saor hier mir viele Aufgaben ab. Er ist mein Hauptgehilfe.«
»Du baust vor allem in Stein, brauchst du da nicht eher Steinmetze als Zimmerleute?«, wollte Gormán wissen.
Saor reckte herausfordernd das Kinn und äußerte sich zum ersten Mal. »Selbst wenn Steine vermauert werden, benötigt man immer hölzerne Rahmen und Stützen, ohne Zimmerei geht es nicht.« Er klang ungehalten.
»So ist es«, bestätigte Glassán und nahm wieder das Wort. Es war klar, er liebte sein Handwerk und war nur zu bereit, sich über die Probleme beim Bau auszulassen und wie seine Leute damit fertig wurden. Als Baumeister stand es ihm und seinem Gehilfen zu, im Gästehaus beherbergt zu werden, während seine Arbeiter außerhalb der Abtei hausten; sie hatten sich am Fluss Hütten gebaut. In einem fort sprach er während des Essens über die Maßnahmen, die notwendig waren, um die alten Blockhäuser der Abtei durch Steingebäude zu ersetzen. Er redete in einem monotonen Bass und gab den Zuhörern keine Gelegenheit, sich am Gespräch zu beteiligen.
Sobald die Mahlzeit beendet war, standen Fidelma und Eadulf auf und nutzten den günstigen Augenblick, dem Redseligen zu entkommen. Die ganze Zeit hatte Gormán mit glasigem Blick dagesessen und unbeteiligt die unendlichen Einzelheiten und technischen Erklärungen über sich ergehen lassen, von denen Glassán tönte. Ähnlich wie er hatte auch der schmalgesichtige Saor, in sich zurückgezogen, geschwiegen und nur hin und wieder zustimmend etwas gemurmelt.Schließlich hatte er sich mit der Bemerkung entschuldigt, er habe noch etwas zu erledigen. Fidelma verübelte ihm diese Ausrede, sich entfernen zu können, nicht.
Vor ihrer Schlafkammer im Gästehaus fühlte sich Fidelma gemüßigt, Eadulf um Verständnis zu bitten. »Ich habe dich nicht in Verlegenheit bringen wollen wegen unserer Unterkunft. Aber ich denke, wir müssen uns erst noch über vieles aussprechen und sollten nicht in alte Gewohnheiten verfallen, die keinem von uns guttun.«
»Ich verstehe dich schon«, stimmte Eadulf ihr zu. »Ich glaube, es war dein Bruder, der den Graben zuschütten wollte, du hattest es nicht darauf angelegt, mich unter einem Vorwand nach Cashel zurückzuholen.«
»Du musst nicht denken, dass ich sein Handeln bedauere, Eadulf«, erwiderte Fidelma schnell. »Im Gegenteil, vielleicht können wir hier im gemeinsamen Wirken unsere Beziehung einer Prüfung unterziehen. Ich bin jedenfalls fest entschlossen, den Lebensweg weiterzuverfolgen, den ich im Auge habe. Ich müsste heucheln, wollte ich etwas anderes behaupten. Wie wird sich das mit dem vertragen, was wir sonst noch alles in Betracht ziehen müssen? Lass uns aufrichtig darüber reden, sobald nicht andere Probleme unsere Gedanken in Anspruch nehmen.«
»Einverstanden«, bestätigte Eadulf lächelnd. »Wenden wir uns voll und ganz der Aufgabe zu, die jetzt vor uns steht.«
Sie erwiderte sein Lächeln und sagte: »Gormán hat mich übrigens heute Abend an etwas Wesentliches erinnert.«
»Meinst du seine Fähigkeit, geistig wegzutreten, während unser Baumeister unaufhörlich salbaderte? Ich könnte schwören, der hat nicht einmal beim Kauen aufgehört zu reden, und doch war sein Teller am Ende leer. Wie hat er nur gleichzeitig sprechen und essen können?«
»Das habe ich nicht gemeint«, sagte sie lachend. »Ich meine die Bemerkung, die er machte, die Abtei müsse reich sein, um all diese Bauten in Angriff zu nehmen.«
»Die Frage taucht nicht zum ersten Mal auf. Viele Klöster bauen neu und erweitern sich. Warum nicht auch Lios Mór?«
»Aber bedenk einmal, Lios Mór wurde vor knapp dreißig Jahren gegründet. Damals haben die Mitglieder der Gemeinschaft mit eigener Hände Arbeit den Baugrund hergerichtet und die Umzäunung gezimmert. Sie haben sich keine Hilfe von außerhalb geholt. Ihr Baumaterial war das Holz aus den Wäldern der Umgebung. Die Abtei hat bisher kaum Zeit gehabt, es zu
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