Der Blutkelch
wäre es da nicht besser, erst morgen mit den Nachforschungen zu beginnen?«
Auch Fidelma spürte, dass sie bereits einen langen beschwerlichen Tag hinter sich hatte. Von ferne tönte eine Glocke, die das Ende eines arbeitsamen Tages verkündete. Sie rief die auf den Feldern Tätigen, in die Abtei zurückzukehren, und mahnte sie, sich vor der Abendmahlzeit zu reinigen.
»Du hast recht, Vater Abt«, räumte sie ein. »Wir hatten wirklich einen langen Tag.« Sie warf Bruder Lugna einen Blick zu und fragte: »Ist unser Begleiter, Gormán, gut untergebracht, und wurden unsere Pferde versorgt?«
Der Verwalter bestätigte es. »Außerdem habe ich den
bruigad
, unseren Herbergswart, beauftragt, eine Kammer für euch im
tech-óiged
, dem Gästehaus, herzurichten …«
»Zwei Kammern, bitte«, unterbrach ihn Fidelma sacht.
»Ich dachte …« Abt Iarnla runzelte die Stirn, verbesserte sich aber rasch, um jedem Missverständnis vorzubeugen: »Wie du wünschst. Bruder Lugna wird sich darum kümmern. Wir treffen uns doch zur Abendmahlzeit im
refectorium,
nicht wahr, nachdem ihr euer abendliches Bad genommen habt?«
»Ich habe schon veranlasst, dass euch das Bad bereitet wird«, fügte der Verwalter hinzu.
Eadulf war peinlich berührt, als Fidelma auf getrennte Kammern bestanden hatte. Doch sah er ein, dass ihr Leben nicht einfach so weitergehen konnte wie bisher, manches bedurfte noch einer grundsätzlichen Klärung zwischen ihnen. So schwieg er, während der Herbergswart, der sich als Bruder Máel Eoin vorstellte, sie zu einem Holzbau, dem Gästehaus, führte. Ihnen wurden getrennte, jedoch dicht nebeneinander liegende Kammern zugewiesen. Ein Zuber mit heißem Wasser stand schon bereit, als Eadulf eintrat. Er hatte sich längst an die Sitte von Fidelmas Leuten gewöhnt, täglich ein Bad zu nehmen, üblicherweise am Abend. Dazu stieg man in einen großen Bottich,
dabach
genannt. In jeder Unterkunft erwartete die Gäste ein Bad mit warmem Wasser und Duftölen. Erst nachdem man gebadet, sich gekämmt und saubere Sachen angezogen hatte, ging man zum Hauptmahl des Tages, dem
prainn
, das stets am Abend eingenommen wurde.
Eadulf war aufgefallen, dass Bruder Lugna den lateinischen Ausdruck
refectorium
gebrauchte anstelle des irischen
praintech
, dem geläufigen Wort für ein Speisehaus. Überhaupt hatte er im Laufe der Zeit bemerkt, dass in vielen Abteien lateinische Begriffe wie eben
refectorium
die einheimischen Wörter für Räume oder Tätigkeiten verdrängten. Sowurde jetzt das lateinische
cubiculum
für Kammer benutzt anstelle des üblichen
cotultech
, oder
scriptor
für Bibliothekar und
scriptorium
für Bibliothek anstelle des
leabhar coimedach
, das Bücherbewahrer hieß, und
tech-screptra,
womit der Aufbewahrungsort für die Handschriften bezeichnet wurde. Auch in Lios Mór schien die Abtei Veränderungen unterworfen. Vielleicht bedeutete die römische Tonsur, die Bruder Lugna trug, doch mehr, als er zunächst angenommen hatte.
Wenig später wies Bruder Máel Eoin ihm und Fidelma den Weg zum
refectorium.
Der Herbergswart war ein Mann von wenigen Worten. Am Eingang zur Speisehalle stießen sie auf Gormán.
»Bist du erträglich untergebracht?«, begrüßte Fidelma den jungen Krieger.
»Das Bett ist gut, Lady«, erwiderte er und lächelte kurz. »Ich bin über den Stallungen einquartiert, beim
echaire
, dem Stallmeister. Vorhin habe ich mich etwas ausführlicher umgesehen und über die neuen Gebäude gestaunt. Seit ich das letzte Mal hier war, hat sich die Abtei beträchtlich vergrößert. Eine Kapelle aus Stein hat man errichtet, und zwei weitere Bauten sind bereits fertig. Anscheinend sind der Abtei reiche Mittel zugeflossen.«
Mit einer Handbewegung unterbrach ihn Bruder Máel Eoin, öffnete das Portal und führte sie durch die große Halle, wo die Klostergemeinschaft bereits beim Essen war. Vorbei an Reihen langer Tische brachte er sie zu dem ihnen zugedachten Tisch. Viele Brüder hoben die Köpfe und verfolgten die Besucher mit unverhüllter Neugier. Ein leises Murren wurde hörbar. Einige Brüder schienen Fidelma von früheren Begegnungen zu kennen, sie neigten die Köpfe, als sie an ihnen vorbeiging. Fidelma bemerkte, dass sich nur wenigeFrauen in der Halle befanden, aber immerhin, einige waren es. Lios Mór war ursprünglich ein
conhospitae
, ein gemischtes Haus, gewesen, wie sie sich erinnerte. Männer und Frauen lebten dort zusammen und erzogen ihre Kinder im Geiste der neuen Religion. Carthach hatte
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