Der Blutkelch
Ansehen und Wohlstand zu bringen, und plötzlich ist sie in der Lage, Steinbauten zu errichten.«
»Wir haben aber schon so manche Klostersiedlung in den fünf Königreichen gesehen, die sich mit steinernen Bauwerken schmückt«, beharrte Eadulf.
»Im Westen ist es im Allgemeinen einfacher, Steine zu brechen als Holz zu schlagen. Hier aber wächst Holz reichlich und in vielerlei Arten. Gewiss ist auch diese Abtei am Werden und Wachsen, dennoch überrascht es, dass man einen erfahrenen Baumeister und zahlreiche Handwerker angestellt hat. Glassán hat durchaus recht, in den Gesetzen sind eindeutige Vorschriften, Festlegungen und selbst Löhne für ausgebildete Baumeister und Handwerker nachzulesen. Wenn die Gemeinschaft hier es sich leisten kann, sie zu zahlen, muss sie auch die Mittel dazu haben. Fragt sich nur, wie ist die Abtei in so kurzer Zeit zu solchem Reichtum gelangt?«
»Vielleicht leisten Glassán und seine Leute ihre Arbeit unentgeltlich für den Glauben.«
»Du hast doch gehört, wie er von dem ihm zustehendenVerdienst gesprochen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er des Glaubens wegen darauf verzichten würde.«
»Das wäre eine Frage, die wir Abt Iarnla stellen sollten.«
Fidelma ging darauf nicht ein. »Jedenfalls haben wir uns erst einmal um anderes zu kümmern als darum, wie die Abtei in den Besitz der Mittel gelangt ist, die man benötigt, um sich solche Bauten errichten zu lassen.« Sie öffnete die Tür zu ihrer Kammer. »Schlaf gut. Wir haben viel zu tun ab morgen früh.«
Einen Augenblick starrte er gedankenverloren auf die sich hinter ihr schließende Tür. Mit einem tiefen Seufzer begab er sich langsam in die ihm zugewiesene Kammer. Eadulf wusste, wenn Fidelma ihre Zukunft so klar vorgezeichnet sah, standen ihm schwierige Zeiten bevor. Sich auszusöhnen würde gar nicht so leicht sein. Es gab kein einfaches Zurück, wie Fidelmas Bruder wohl gehofft hatte.
Eadulf warf sich auf den Strohsack auf seinem hölzernen Bettgestell und zog sich die Decke über den Kopf, doch es dauerte lange, bis er einschlief.
KAPITEL 6
Am nächsten Morgen hatten sie einen wolkenlosen Himmel und strahlende Sonne.
»Das wird ein heißer Tag heute«, stellte Bruder Lugna schlecht gelaunt fest, als er Fidelma und Eadulf begrüßte, die aus dem
refectorium
kamen, wo sie ein leichtes Frühstück zu sich genommen hatten.
»Dann sollten wir die kühle Morgenfrische nutzen und nicht unnütz Zeit verstreichen lassen«, erwiderte Fidelma.
Für die sonst übliche meditative Stille einer Abtei war der Baulärm auf dem Gelände ungewohnt. Man hörte das Hämmern auf Gestein, das Sägen von Holz und barsche Männerstimmen, die laute Anweisungen gaben.
»Das bringt nun mal das Baugeschehen mit sich«, meinte Bruder Lugna. »Aber die Ruhestörung jetzt ist nichtig, wenn man bedenkt, dass wir durch die Umgestaltung der Abtei etwas für die Ewigkeit haben werden.«
Er führte sie über den gepflasterten Innenhof, vorbei an einer
tipra
, einem kleinen Springbrunnen mit Trinkwasser, das in einem Becken aus Kalkstein plätscherte. Vor ihnen auf der östlichen Seite des viereckigen Hofes ragte ein großes Gebäude mit drei Stockwerken in die Höhe. Es war eins der neu errichteten Steinbauten. Sie erfuhren von Bruder Lugna,dass es zukünftig die
cubicula
, die Einzelzellen aller älteren Mitglieder der Gemeinschaft beherbergen würde.
»Dann ist es gerade erst fertig geworden«, ging Fidelma auf seine Erläuterung ein und betrachtete die sauber geschliffenen Außenwände.
»Es steht noch kein Jahr«, bestätigte Bruder Lugna. »Es war das zweite Gebäude, das fertig wurde. Als Erstes haben wir natürlich die Kapelle gebaut. Tut mir leid für euch, aber das
tech-óired
, das Gästehaus, kommt als Letztes an die Reihe, verglichen mit der Bedeutung der anderen Häuser kann es am ehesten warten. Ich hoffe jedoch, der gegenwärtige Bau genügt euren Ansprüchen.«
Fidelma war sich nicht ganz sicher, ob seine Worte humorvoll gemeint waren, hatte aber nicht den Eindruck, dass Bruder Lugna auch nur das Geringste für Humor übrig hatte. »Es genügt unseren Ansprüchen in jeder Hinsicht«, beruhigte sie ihn. »Es ist in der Tat so einladend und bequem, dass ich mich frage, weshalb es sich die Abtei so viel kosten lässt, neue Gebäude zu errichten, wo doch die anderen noch gar nicht so alt sind.«
»Die Abtei hat den Ehrgeiz, dass Lios Mór eins der größten Zentren des Glaubens, der Lehre und des Studiums in den fünf
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