Der Blutkönig: Roman (German Edition)
mir das hier verpasst.« Er hielt seinen Kopf nach vorn, sodass eine Narbe unter seinem Kragen zu sehen war, eine gezackte Linie, die von seinem Ohr bis unter sein Hemd reichte.
»Jeder starb – jeder außer mir«, sagte er still. »All diese Jahre habe ich geglaubt, ich hätte die Bestien über uns gebracht.« Er wagte es, Carina anzusehen und wusste, dass sie mit ihren eigenen Gespenstern zu kämpfen hatte. »Ich habe Royster nicht geglaubt, ich habe Tris nicht geglaubt. Aber Tris hat Shannas Geist gerufen, und ihr habe ich geglaubt.«
Seine Stimme stockte und er sah weg. »Das meinte ich, als ich dir erzählt habe, dass die Toten uns vergeben. Deshalb weiß ich das.
Ich bin so weit weggegangen, wie ich nur konnte, bis in die Ostmark. Ich hatte nur noch mein Schwert zu verkaufen. Ich war kaum achtzehn – ein paar Jahre jünger, als Tris jetzt ist. Dort habe ich Harrtuck getroffen, in einem Söldnerheer. Er hat mir die Grundlagen beigebracht, und wie man nicht getötet wird. Ich lernte schnell, wurde im Feld befördert und ein General der Ostmark hat mich gefragt, ob ich mich ihm anschließen will. Er war ein Held und ich war geschmeichelt.« Vahanians Stimme klang bitter. »Als ich zwanzig war, wurde ich zum Hauptmann befördert. Für eine Weile war das gut.«
»Kiara hat mir erzählt … das mit Chauvrenne.«
Vahanian nickte. »Ich dachte mir schon, dass sie das tun würde. Danach hatte ich das Pech, von den Nargi gefangen zu werden, als ich versuchte, nach Margolan zurückzukehren. Ich ertrank beinahe im Nu, als ich entkam und strandete auf einer Sandbank im Fluss. Eine Dame namens Jolie nahm mich auf, gab mir einen Job, brachte mir bei, wie man auf dem Fluss schmuggelt. Und das habe ich getan, bis Harrtuck mich als euren Führer angeheuert hat.«
Jede Chance, die ich je bei ihr hatte, hat sich wohl gerade in Luft aufgelöst , dachte Vahanian seufzend und sah auf seine Hände hinab. Warum sollte jemand mit ihren Fähigkeiten und ihren Verbindungen jemanden wie mich zweimal ansehen?
Vahanian sah verwirrt auf, als Carinas fieberheiße Hand über seine strich und sie schwach drückte. »Danke.« Zum ersten Mal sahen ihre grünen Augen nicht so aus, als sei sie auf der Hut. Sie ließ seine Hand nicht los. »Bleib bei mir, bitte.« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und er tupfte ihr Gesicht ein weiteres Mal mit dem kühlen Tuch ab.
»Wie Ihr wünscht, M’Lady«, meinte Vahanian und lächelte dabei. Er wagte es auch, ihren Handrücken zu küssen. Carina lächelte zurück und schloss ihre Augen.
Vahanian sah, wie sie sich entspannte, bis ihr Atem tief und regelmäßig ging und sie schließlich einschlief. Er sah staunend auf ihre Hand hinunter, die im Vergleich zu seiner so klein wirkte.
Vielleicht, nur vielleicht , dachte Vahanian, hat ein Gesetzloser, der zum Ritter geschlagen wurde, eine kleine Chance bei einer Adligen, die zur Gesetzlosen wurde.
Er setzte sich in seinem Stuhl zurecht und achtete darauf, die Tür im Blick zu haben und so zu sitzen, dass er jederzeit sein Schwert ziehen konnte. Dann machte er es sich für den Rest des Abends bequem, um gedankenverloren bis zum Morgengrauen über sie zu wachen.
KAPITEL SECHS
S OTERIUS RIEB SICH seinen frisch gewachsenen Bart, ein rötlich-braunes Gegenstück zu seinem dunkelbraunen Haar. Er bürstete sein Haar zurück, das er in der Regel kurz geschnitten trug, damit es unter einem Kriegshelm nicht störte, das aber jetzt ebenfalls lang gewachsen war. »Ziemlich gewöhnungsbedürftig«, sagte er mit einem Seitenblick auf Mikhail.
Mikhail lachte leise. Er hatte sich auch einen Bart und die dunklen Haare lang wachsen lassen. »Ich weiß nicht, es ist irgendwie ganz gut. Es versteckt dein Gesicht.«
Soterius warf ihm einen säuerlichen Blick zu. »Das musst du gerade sagen. Dich hat es ja nur eine Nacht gekostet, beides wachsen zu lassen. Und ich wette, dein Bart juckt nicht!«
»Untot zu sein, hat eben seine Vorteile«, gab Mikhail zurück. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, es ist ein wenig eine Erleichterung. Um die Haare kurz zu halten und keinen Bart zu bekommen, musste ich beides abends schneiden. So ist das eben, wenn man Vayash Moru ist.«
»Na, dann hoffen wir doch mal, dass wir damit einige der Wachen täuschen können. Mir wäre lieber, ich werde nicht so bald von jedem Soldaten erkannt, dem wir begegnen.«
»Wenn man Carroway glauben will, dann ist die Gefahr größer, dass du von den Ladies erkannt wirst«, witzelte Mikhail.
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