Der Blutkönig: Roman (German Edition)
Tod selbst? Das ist nur das Etwas zwischen Wachen und Schlafen. Für die, die deine Gabe nicht besitzen, ist es eine Linie, die nur einmal in eine Richtung überschritten werden kann. Aber für einen Seelenrufer ist es eine Tür, durch die man in beide Richtungen hindurchgehen kann.«
Tris wog die Münze gedankenverloren in der Hand. »Die Toten ruhen nicht wirklich, oder?«
»Das ist die wahre Aufgabe eines Seelenrufers«, meinte Royster. »Den Geistern, die ansonsten wandern würden, oder denen, die sonst keine finden würden, die Ruhe zu schenken. Und sie gegen die zu verteidigen, die sie gegen ihren Willen halten würden, oder ihnen die Energie zu Machtzwecken rauben oder sie zu bösen Zwecken binden.
Ein Landzauberer kennt die Geheimnisse der Welt um sich herum, die Geschichten von Vögeln und Tieren, die Stimmen von allen Lebewesen. Ein Luftmagier spricht mit Wind und Wetter. Die See selbst antwortet einem Wassermagier und alles, was darin lebt, gehorcht seinen Befehlen. Und ein Feuermagier kennt die Geheimnisse der Tiefen der Welt«, meinte Royster. »Aber nur einem Geistermagier ist es gegeben, die Toten zu rufen und ihren Schmerz zu lindern und die Mysterien des Lebens selbst zu kennen. Das ist auch der Grund, warum es die Lady so wenigen gestattet, an dieser Macht teilzuhaben und warum diese Macht so oft korrumpiert.«
Tris sah zum Kamin hin und starrte in die Funken. »Zu wissen, was Jared getan und von all dem Bösen, was Arontala gewirkt hat, und nicht zornig zu werden …«
»Es gibt einen Unterschied zwischen Zorn und Gerechtigkeit«, meinte Royster. »Es scheint, als halte die Lady ihre Hand über deiner Aufgabe, und wenn du dein Ziel erreichst, kann es gut sein, dass Sie dich als ein Instrument Ihres Willens benutzt. Aber wenn du Arontala mit Hass in deinem Herzen begegnest, egal, wie gerechtfertigt er auch sein mag, wird er deine Seele besitzen.«
»Ich wäre lieber zerstört.«
»Bete zur Lady, dass es nicht so kommt. Bava K’aa konnte sich nicht dazu bringen, den Obsidiankönig zu zerstören und so wurde sie fast von ihm zerstört.« Royster sah Tris in die Augen. »Wie weit willst du gehen, um den Obsidiankönig zu zerstören?«
Trotz seiner Müdigkeit fühlte Tris Ärger in sich aufsteigen. »Ich bin bereit, mich selbst zu opfern und das habe ich auch schon bewiesen«, sagte er bissig. »Aber wenn die Schwesternschaft von mir verlangt, dass ich Kiara und die anderen als eine Art Test für meine Loyalität opfern soll, dann nein, das werde ich nicht tun. Es muss einen anderen Weg geben.«
»Und wenn es keinen anderen Weg gibt?«, fragte Royster und ließ ihn nicht aus den Augen.
»Dann werde ich tun, was ich tun muss, auch wenn ich dann bei der Vettel lande.«
T RIS FREUTE SICH , Kiara im Gang warten zu sehen, als er seinen Unterricht mit Royster für diesen Abend beendet hatte.
»Royster hat mir versprochen, er ließe dich zur zehnten Stunde gehen«, meinte sie verschwörerisch. »Ich musste ihn nicht einmal bestechen.«
Tris lächelte müde. »Ich bin froh, dich zu sehen. Aber ich bin nicht gerade in der Stimmung für sprühende Konversation.«
Kiara nahm seine Hand. »Das ist in Ordnung.«
Er nahm sie in die Arme und küsste sie. Sie streckte die Finger aus und berührte den Anhänger, den er an einer Kette um den Hals trug, ihr Geburtstagsgeschenk. »Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, dir zu danken«, meinte er und ließ seine Finger in ihrem dunklen Haar spielen.
»Ich dachte, es brächte ein Licht in deine Ausbildung.« Sie drehte den Kopf herum, sodass ihre Wange seine Finger berührte.
»Den einzigen«, seufzte Tris.
»Da weder du noch Carina darüber reden, muss es furchtbar sein.«
Tris kämpfte die Erinnerungen an die dunklen Visionen und an den Schrecken nieder, den sie in ihm hinterlassen hatten. »Die Schwesternschaft macht eben keine halben Sachen.«
Sie gingen hinaus auf eine Loggia, die über dem Hof des Palastes entlang lief. Diener und Händler hasteten über das dunkle Kopfsteinpflaster. Erhellt wurde der Hof von kleinen Feuern und Fackeln, die den Wachen an diesem kalten Abend ein wenig Licht und Wärme vermittelten.
Kiara zitterte. Tris schlang die Arme um sie, zog sie an sich und genoss den Moment.
»Glaubst du, dass Jared und Arontala wissen, wo wir sind?«
Tris dachte an das rote Feuer, das in Alaines Orb pulsiert hatte und an die Prüfung in der Zitadelle. »Da bin ich sicher.«
Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. »Wie kann es sein,
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