Der Blutkönig: Roman (German Edition)
schwer auf einen Behelfsstab, den er aus einem gefallenen Ast gemacht hatte. Tris legte einen Arm um Kiaras Hüfte und stützte sie, weil es aussah, als könnte sie fallen.
»Ich glaube wirklich nicht …«, begann Nyall noch einmal, doch dann schüttelte er den Kopf und gab auf. Er folgte ihnen durch das Gewirr von Ästen den Fluss entlang.
Der Lärm rauer Musik erreichte sie über das Rauschen des Flusses hinweg, zusammen mit dem Geruch von würzig gebratenem Fisch. Sie konnten Gelächter und Stimmengewirr hören, als sie die gewundenen Stufen zur Tür des Hauses hinaufgingen. Vahanian ging voran. Doch dann stellte sich ihnen ein bulliger Mann in den Weg.
»Ihr seid hier nicht willkommen«, sagte er grob und betrachtete ihren heruntergekommenen Zustand. »Fort mit euch.«
»Ich habe eine Botschaft für Jolie«, sagte Vahanian in der Hochsprache und wiederholte es zur Betonung im Flussdialekt.
»Was für eine Botschaft soll das sein?«
»Sag ihr, dass Jonmarc hier ist. Sofort.«
Der Türsteher warf ihm einen skeptischen Blick zu, aber er schlurfte doch zur Eingangstür. Er rief einen vorbeikommenden Mann zu sich, der die Botschaft entgegen nahm. Sie warteten für eine scheinbare Ewigkeit schweigend, im Wind frierend und zitternd. Dann erklangen von innen schnelle Schritte.
»Was benutzt du eigentlich als Hirn, Flussschlick?«, tönte die schrille Stimme einer Frau. »Du hast sie in diesem Wetter draußen warten lassen? Na los doch, beweg dich, ich hab’s eilig.« Mit hochrotem Gesicht kam Jolie durch die Tür. »Jonmarc!«, rief sie und umarmte den Schmuggler. »Komm herein, komm herein«, begrüßte sie die Freunde. Dann warf sie der Wache noch einen bösen Blick zu, der im Bewusstsein seiner Unschuld die Achseln zuckte.
Einer von Jolies Bediensteten brachte einen Armvoll Decken, die Tris und die anderen dankbar annahmen. Jolie und Vahanian verfielen in ein Sperrfeuer von Flussdialekt, das von Jolies auffallenden Gesten betont wurde. Hinter dem Paar begutachtete Tris ihre neue Gastgeberin. Jolie war in ihren mittleren Jahren, mit der Figur eines jungen Mädchens und wilden, flammend roten Haaren, die ihr auf die Schultern herabfielen. Ihr Gewand, bemerkte Tris, entsprach einer Mode, die bei Hof vor einigen Jahren aktuell gewesen wäre, der Stoff war teuer und üppig. Gold glitzerte an ihrem Hals, an den Fingern und an vielen Armbändern, die an ihren dünnen Armen klimperten. Juwelen tanzten in ihren Ohrläppchen. Ein schweres Parfüm wehte hinter ihr her, wie Weihrauch für die Dunkle Lady und durchdrang den ganzen Raum.
»Wo sind wir?«, fragte Kiara leise. Spieltische reihten sich in diesem Raum auf, an dem Herren in geckenhafter Kleidung saßen und freizügig gekleidete junge Damen. Barden spielten raue Weisen, mit improvisiertem Refrain, den einige schon reichlich betrunkene Gäste grölten. Im hinteren Teil des Raums verteilte ein Bartender seine Drinks an die Gäste rund um eine junge Frau herum, die dort auf der Bar hockte und mit einem Barden zusammen sang.
»Irgendwo, wo Jonmarc glaubt, wir seien sicher«, erwiderte Tris. »Die Frage ist nur, sicher wovor?«
»Dein Freund muss Verbindungen haben«, sagte Nyall hinter ihm. »Jolie lässt noch lange nicht jeden herein.«
Sie folgten Vahanian und Jolie durch die Menge der Spieler bis in den hinteren Teil des überfüllten Raums. Jolie sprach die ganze Zeit mit Jonmarc oder einem der Spieler und ihren Damen, die sich in der Menge drängelten. Schließlich erreichten sie eine kleine Tür am Ende des lärmenden Casinos. Jolie öffnete sie mit einem Schlüssel, den sie aus ihrem Mieder zog. Der Reihe nach gingen sie hinein und sie schloss hinter ihnen die Tür. Dann schloss Jolie ab und verstaute den Schlüssel mit einem Tätscheln wieder an seinem Platz.
»Nun, Jonmarc, sag mir, was bringt dich mit dem Aussehen einer Flussratte wieder hierher?«
»Ich brachte eine Gruppe von Leuten über den Fluss nach Margolan, als uns etwas ins Wasser geworfen hat. Wir haben es mit unseren Pferden ans Ufer geschafft, aber wir vermissen zwei von unseren Leuten.«
Jolie betrachtete ihn einen Moment. »Das Wasser ist eiskalt. Sie dürften mittlerweile tot sein.«
»Sie sind nicht tot«, fiel Kiara ein.
»Schwertkriegerinnen gibt es auf dem Fluss nicht gerade häufig«, sagte Jolie mit einem schweren Akzent in der Hochsprache. »Und der da«, sie wies auf Sakwi, »ist ein Magier, oder ich bin eine Jungfrau. Das war ein schöner Anfang für die Geschichte,
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