Der Blutkristall
während sie allein durch Berlin gestreift war. Es wäre nett gewesen, hätten sie den Beatclub gemeinsam durchsucht oder die Jäger des Statthalters Seite an Seite bekämpft. Abgesehen davon, dass sie sich in seiner Gegenwart eigentümlich sicher fühlte, mochte sie auf seine Gesellschaft nicht mehr verzichten. Eine leise Stimme in ihrem Inneren flüsterte, dass sie sich längst nicht alle Gefühle eingestand. Aber Vivianne lehnte es ab, darauf zu hören. Was nicht sein durfte, konnte auch nicht sein. Sie schob das Flattern in ihrem Herzen, das jedes Mal entstand, wenn er sie berührte oder nur ansah, auf seine vampirische Aura und, sie musste bei dieser Erinnerung lächeln, zu einem nicht geringen Anteil auch auf seine exzellenten Liebhaberqualitäten.
«Sie kann besitzergreifend sein.»
Morgan hatte etwas gesagt. Obwohl der Sinn seiner Worte sie nicht erreichte, lauschte Vivianne entzückt dem Beben, dass die Vibration seines Brustkorbs in ihrem Körper auslöste, bis ihre Haut zu prickeln begann und sie sich überaus lebhaft an ihr erotisches Intermezzo erinnerte. Ob sich jetzt die Gelegenheit zu einer Wiederholung ergab?
«Edna.»
«Wie?» Vivianne sah ihn verwirrt an. «Ach, deine ... Nicht-Freundin. Ja, das ist mir allerdings nicht entgangen. Und deshalb sind wir hier? Damit sie mich nicht umbringt?»
Er ignorierte ihre Frage. «Ohne mich würde sie nicht überleben.»
Der Satz klang, als sei er von einer dramatischen Oper inspiriert, aber der Schmerz in seiner Stimme berührte Vivianne und ihre Frage klang weit gefühlvoller, als ursprünglich geplant. «Willst du mir davon erzählen?»
Anstelle einer Antwort schlug Morgan die Bettdecke zurück und stand auf.
Offenbar nicht , dachte sie und betrachtete sein außerordentlich wohlgeformtes Hinterteil, das dieses Mal nicht von Leder oder irgendwelchen Textilien verdeckt war. Niemand hatte jemals behauptet, dass zu einer heißen Affäre auch Vertrauen gehören musste. Man nimmt halt, was man kriegen kann! Mit dieser Lebensweisheit war sie immer gut gefahren. Warum nur wurde ihr das Herz jetzt so schwer?
Nachdem sie zu ihrem Bedauern nicht einmal gemeinsam ausgiebig das tatsächlich sehr luxuriöse Bad genutzt hatten, erzählte Vivianne von ihrem Gespräch mit Salai. Morgan reagierte gereizt, als er von dessen wahrer Natur erfuhr. «Ein verdammter Elf also.»
Etwas irritiert erkundigte sie sich, ob er viele Lichtelfen kennen würde, doch Morgan schien sie gar nicht zu hören. «Das erklärt immerhin, warum er uns ständig durch die Lappen geht.»
«Und es erklärt, wieso ihn der Blutkristall schützt.»
Morgan sah sie fragend an und Vivianne erklärte ihre Vermutung. «Ursprünglich soll dieser Edelstein einmal den Lichtelfen gehört haben. Und wenn das stimmt, dann ist es kein Wunder, dass sich das Ding in ihm quasi wie zu Hause fühlt. Jetzt bleibt nur die Frage, wie wir diese romantische Verbindung wieder auflösen.»
«Wenn es jemand weiß, dann die Eigentümer des Steins», überlegte er laut.
«Ganz bestimmt nicht!» Vivianne war aufgesprungen. «Wir werden auf keinen Fall meine», sie machte eine kaum hörbare Pause und korrigierte sich, «... die Causantíns hinzuziehen! Du hast keine Ahnung, mit wem du dich in diesem Fall einlässt.»
Morgan hatte durchaus eine Ahnung, sogar mehr als das. Schließlich kannte fast jeder ihren Ruf, und er wollte lieber nicht herausfinden, wie sie reagieren würden, wenn sie erführen, dass er sich in Vivianne verliebt hatte. Das heute Geschehene, das wusste er jetzt, war unausweichlich gewesen. Sein Herz hatte er wahrscheinlich schon bei ihrer ersten Begegnung verloren, und obwohl sich Morgan wirklich dagegen gewehrt hatte, gab es keine andere Erklärung dafür, dass sein Puls zu rasen begann, sobald sich ihre Hände berührten oder er nur an sie dachte. Von dem schmerzenden Verlust ganz abgesehen, den er gefühlt hatte, als sie nach dem Streit mit Edna einfach so davongegangen war, als bedeute er ihr nichts. Ob sie nur ein erotisches Abenteuer in ihrer Begegnung sah und ihn als willkommenen Gehilfen den Blutkristall zurückzuholen, das konnte er beim besten Willen nicht sagen. Immerhin, ihre Liebe galt jedenfalls nicht ihren Beschützern, vielmehr hatte er den Eindruck, sie fürchtete die beiden.
Und das sollte Morgan ebenfalls tun, denn Ednas Existenz wäre gefährdet, sobald jemand von ihrer mentalen Schwäche erfuhr. Er hatte nicht übertrieben, als er behauptete, dass sie ohne ihn keine
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