Der Blutkristall
erwachte davon, dass sich Vivianne neben ihm unruhig hin und her warf. So etwas hatte er noch niemals bei einer ihrer Art erlebt. Normalerweise lagen seine Bettgefährtinnen im Anschluss an erfreulichere Aktivitäten regungslos neben ihm, bis der Tag seine Macht verloren hatte. Sie ist eben in jeder Hinsicht außergewöhnlich , dachte er und ergab sich dem mächtigsten Gegner eines Vampirs – dem Schlaf.
Kapitel 13
«Was würde deine Freundin dazu sagen, dass wir einen Tag zusammen verbracht haben?» Vivianne klang verschlafen. Sie hatte merkwürdige Träume gehabt und sich nach der anstrengenden Nacht längst nicht so gut erholt, wie es ein weiches Bett wie das, in dem sie gerade erwacht war, vermuten ließ. Sie konnte nicht widerstehen, Morgan diese Frage zu stellen. Obwohl es keine Fortsetzung ihres von Nabrah so rüde unterbrochenen Abenteuers gegeben hatte, würde eine eifersüchtige Frau kaum entzückt sein, wenn sie erführe, dass ihr Geliebter das Bett mit einer anderen geteilt hatte. Egal ob geschwisterlich keusch oder eben auch nicht. Ihr Herz begann stärker zu klopfen, noch war alles offen, diese Frage zu stellen war aber vermutlich das Dümmste, was man in ihrer Situation tun konnte. Doch diplomatisches Geschick war noch nie eine ihre Stärken gewesen und sie musste einfach jetzt sofort Gewissheit haben.
«Edna ist nicht ...» Morgan setzte sich auf und zog sie mit sich. Nach einem vielversprechenden Kuss bettete er ihren Kopf an seiner Schulter und strich ihr übers Haar. «Sie ist nicht meine Geliebte.»
«Das kam mir aber anders vor!»
«Das Leben ist manchmal komplizierter, als man es sich in seinen dunkelsten Fantasien ausdenken könnte.» Er seufzte und – schwieg. Wie so häufig in den letzten Tagen.
Vivianne nahm zum ersten Mal bewusst wahr, dass sie sich nicht in Morgans Loft befanden. Jedenfalls konnte sie sich nicht vorstellen, dass jemand wie er sein Schlafzimmer in diesem Stil einrichtete. Es wirkte ziemlich protzig, poliertes Messing, glänzende Edelhölzer und eine, wie sie fand, überaus geschmacklose Möblierung. Aber zweckmäßig. Die Einrichtung des Raums war typisch für eines der zahllosen Hotels weltweit, die spezielle Suiten und Zimmer für ihre lichtscheue Klientel anboten. Dieses Schlafzimmer war geräumig, es gehörte eindeutig zu einer Suite, und sie fragte sich, ob Morgan diesen Luxus überhaupt bezahlen konnte. Es gab nämlich auch durchaus bezahlbare Zimmer, die weniger komfortabel, aber ebenso sicher waren. Und in denen dennoch nicht die wichtigsten Dinge, wie eben frische Blutkonserven oder ein Internetanschluss, fehlten. Für sie wäre es ein Leichtes gewesen, diese Suite zu bezahlen, hätte sie ihre Kreditkarten einsetzen können. Vivianne hatte in ihrem Leben schon in einigen dieser speziellen Räume gewohnt und wusste, dass sie irgendwo einen Kühlschrank finden würde, der mit den teuersten Blutcuvées bestückt war. Selbstverständlich gäbe es auch eine Möglichkeit, die speziellen Sorten, die überwiegend aus den abgelaufenen Blutkonserven der Sterblichen gewonnen wurden, exakt zu temperieren. Wer wollte, konnte das Lebenselixier allerdings auch gegen ein entsprechendes Trinkgeld geradewegs aus der Quelle genießen. Das war genau genommen nicht legal, aber weil es streng kontrolliert wurde, drückte der Rat hier ausnahmsweise ein Auge zu. Vielleicht auch, weil die meisten dieser Refugien einem seiner Mitglieder gehörten.
Hinter einer der Türen würde sich ein Bad befinden, ganz sicher mit vorgewärmten Handtüchern und allen erdenklichen Toilettenartikeln vom Nassrasierer bis zur Zahnbürste ... was eben so fehlte, wenn man überraschend und äußerst kurzfristig irgendwo abstieg. Nicht zu vergessen die garantiert funktionierende Dusche. Doch während sie darüber nachdachte, erkannte sie, dass ihr dieser Komfort nicht mehr besonders wichtig war. Abgesehen von heißem fließendem Wasser vielleicht. Anstatt in einer Luxusherberge direkt am Prachtboulevard «Unter den Linden» wäre sie heute viel lieber in Morgans Bett erwacht, in seiner seltsamen Wohnung mit den hohen Fenstern und den Mauern, von denen der Putz bröckelte.
Als er aufgetaucht war, um ihr die Vampire des Statthalters vom Hals zu halten, hatte sie ihre Reaktion für Dankbarkeit gehalten, aber ein anderes Gefühl war viel stärker gewesen. Es beim Namen zu nennen wagte sie nicht. Immerhin war Vivianne einsichtig genug, zumindest vor sich selbst zuzugeben, dass sie ihn vermisst hatte,
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