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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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alles, was es brauchte, um Morgans wilde Gier zu zügeln. Er labte sich an dem, was sie freiwillig gab, und als ihr Puls allmählich langsamer wurde, leckte er nur einmal über die Wunde, als wisse er genau, was zu tun war, löste sich von ihr und sank zurück auf sein Lager. «Bemerkenswert!», hörte er jemanden sagen und dann war Frieden.
    So ging das ein paar Tage oder Wochen, im Nachhinein erinnerte er sich nicht mehr genau, und eines Tages wurde eine Badewanne hereingetragen, seine Blutspenderin, deren Namen er bis heute nicht kannte, wusch ihm das verschwitzte Haar. Es schien länger geworden zu sein, sie band es zu einem Zopf. Endlich wieder sauber. Eine neue Form der Glückseligkeit, die nur noch übertroffen wurde von einem Becher Blut, den sie ihm reichte.
    «Mylord möchte euch heute bei Tisch sehen! Ich habe eure Garderobe bereitgelegt», zwitscherte die Kleine und verschwand, bevor Morgan aus der Wanne stieg. Feinere Kleider hatte er niemals gesehen und aufgeregt, endlich seinem Wohltäter und der geheimnisvollen Dame aus seinen Träumen begegnen zu dürfen, folgte er einer anderen Zofe schließlich durch die Gänge eines Landsitzes, der schon bessere Zeiten gesehen haben musste. Jeder Mauervorsprung atmete den Hochmut längst verblichener Bewohner, von denen einige mit kritischem Blick auf ihn herabsahen. Aber Morgan, der Piraten gegenübergestanden und mehr als einmal dem Tod ins Auge geblickt hatte, ließ sich bestimmt nicht von ein paar missmutigen Mitgliedern des britischen Landadels einschüchtern.
    Was die Bilder nicht schafften, gelang dem Mann, der in einem Salon auf ihn wartete, mühelos. Wäre es nur der Hochmut der Herrschenden gewesen, er hätte sich nicht vor ihm erniedrigt, aber ohne es zu wollen beugte Morgan sein Knie vor dem Fremden und küsste die ihm entgegengestreckte Hand. Beim Anblick des funkelnden Juwels, das weiße schlanke Finger schmückte, die noch keinen Tag harter Arbeit hatten verrichten müssen, schaute er bewegt auf. Es war weniger die Erinnerung als ein Instinkt, der ihm sagte, dass er diesen Ring nicht zum ersten Mal sah.
    Die beiden, so erfuhr er, waren seine leiblichen Eltern. Der Verlauf seines bisherigen Daseins sei so nicht geplant gewesen, sagte sein Vater. Aber alles, was man überlebe, mache einen härter, und einen großen Überlebenswillen würde er auch in Zukunft gut gebrauchen können. Die Französin mit der schönen Stimme – sie als Mutter zu sehen, das war ihm auch in späteren Jahren nie gelungen – schien noch etwas sagen zu wollen, nickte dann aber nur. Er sei, so erfuhr Morgan, in Wales geboren als Sohn einer bedeutenden Familie. Es sei bedauerlich, dass die Amme ihn damals nach London entführt habe. Doch diese Dinge kämen vor, und die Tradition der Dunkelelfen verlange es nun einmal, die Söhne aus gutem Hause in der Fremde aufwachsen zu lassen. Seine älteren Brüder hätten diese Jugend in Sterblichkeit auch überlebt und seien heute wertvolle Mitglieder der magischen Gemeinde. Zuletzt steckte ihm sein Vater noch einen Ring an, der mit dem Familienwappen geschmückt war. Er solle ihn in Ehren halten und voller Stolz tragen. «Bedauerlich, dass du so widernatürlich transformiert worden bist», sagte sein Vater. «Es ist fraglich, ob du jemals die besondere Magie unserer Art in dir spüren wirst.» Geschaffene Vampire, so teilte er ihm mit, seien nichts anderes als mutierte Sterbliche und minderwertig. Offenbar meinte er es gut, als er ihm zum Schluss noch riet, das Tageslicht zu meiden. Denn vermutlich würde er die Sonne niemals tolerieren können, so wie es den Dunkelelfen typischerweise in die Wiege gelegt war.
    Nun war er also unsterblich, und sie gaben ihm als Empfehlung mit auf den Weg, dieses Geschenk sinnvoll zu nutzen und sich dankbar zu zeigen. Eine Kutsche, die ihn nach London bringen würde, ein Dutzend Goldstücke und eine Adresse, bei der er sich melden sollte für den Fall, dass er in Schwierigkeiten geriete, waren weitere Geschenke der beiden Fremden, die seine Eltern waren.
    Dankbarkeit war das Letzte, was Morgan für seine Familie empfand. Er ging ihnen fortan aus dem Weg, und wenn es jemand unbedingt wissen wollte, dann erzählte er die Geschichte, wie er in einer Mondnacht gebissen worden war von einem tollwütigen Hafenvampir aus Chatham an der englischen Ostküste. Von dem kostbaren Ring mit dem Wappen seiner Familie hatte er sich dennoch niemals getrennt und er trug ihn noch heute an einer Kette um den Hals.
    Morgan

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