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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Art prägen die Persönlichkeit eines jungen Menschen, sie schüren Stolz und Vorurteile.
    «Du siehst aus, als wärst du gerade aus dem Bett gestiegen», unterbrach er ihre Überlegungen und fügte provokant hinzu: «Bestimmt besser, wenn Mademoiselle ihre Klamotten anbehält.»
    «Als könnte einer wie du so etwas beurteilen.» Viviannes Augen glühten und sie hatte Schwierigkeiten, ihre Wut zu zügeln. Er ist eben nur ein geschaffener Vampir , versuchte sie sich zu beruhigen. Sie folgte trotzdem seinem Rat, sah zur Seite und erblickte in der Schaufensterscheibe eine zerzauste Gestalt. Lange Haarsträhnen hatten sich aus dem weichen Knoten gelöst, der ihre Nackenlinie so vorteilhaft zur Geltung brachte, die Jacke ihres Designerhosenanzugs war schief geknöpft. Wann war ihr dieses Missgeschick unterlaufen? Egal. Solche Kleinigkeiten ließen sich rasch in Ordnung bringen. Sie streifte das edle Stück mit der Anmut einer Burlesque-Tänzerin ab und drückte es dem verdutzten Morgan in die Hand. Die Füße leicht auseinandergestellt beugte sie sich weit vor und zog die Nadeln aus ihrer Frisur. Mit der jahrelangen Erfahrung einer Frau, die wusste, dass diese Fülle dunklen Haares niemals seine Wirkung verfehlte, verschaffte sie ihm mit gespreizten Fingern neues Volumen, öffnete zwei Knöpfe ihrer Seidenbluse und vergewisserte sich, dass gerade genug von der zarten Spitze ihres Hemdchens hervorlugte, um den Betrachter neugierig auf mehr zu machen. Sie wusste, dass die meisten Männer in der Schlange vor dem Club auf eine Fortsetzung warteten, und ließ sie ein paar Sekunden länger als notwendig zappeln, bis die Spannung deutlich spürbar war. Dann richtete sie sich auf und warf dabei den Kopf mit einer lasziven Bewegung in den Nacken, sodass niemand die seidige Mähne übersehen konnte. Vielleicht war der prüfende Griff nach dem BH eine Spur zu viel des Guten, schließlich wusste sie auch so, dass er ihr Dekolleté bestens zur Geltung brachte, aber die bewundernden Pfiffe belohnten sie für diese kleine Showeinlage. «La Courtisane», wie sie auch genannt wurde, wusste sich zu inszenieren. Vivianne brauchte nicht in Morgans Gesicht zu sehen, um zu erkennen, dass er ihr Verhalten missbilligte. «Komm!», gurrte sie, nahm seine Hand und ging mit schwingenden Hüften auf den Türsteher zu, der mit einem anzüglichen Grinsen den Weg vorbei an den eisernen Gitterstäben, durch das hohe Tor in den Club hinein frei machte. «Manche stehen halt auf Trash!», zischte eine Frauenstimme aus dem Hintergrund, und auf einmal war sie sich nicht sicher, wer damit gemeint war. Sie oder Morgan, der im Schutz der Dunkelheit seine Hand befreite und ihr mit langen Schritten voranging. Viviannes Lächeln verriet ebenso wenig über ihre wahren Gefühle wie das ausdruckslose Gesicht ihres Begleiters. Immerhin hatte ihr Auftritt seinen Zweck erfüllt.
    Sie folgte ihm bis zur Bar, wo er sich abrupt umdrehte und den Kopf neigte, bis seine Lippen fast ihr Ohr berührten. «Nach dreihundert Jahren kann ich die Qualität einer Frau sehr genau beurteilen. Und du, Prinzessin ...» Er ließ seine Worte in der Luft hängen, dabei lächelte er mokant. «Du bleibst jetzt brav hier sitzen, bis ich zurück bin!»
    Er ist nicht nur fremd in der Stadt, er hat auch keine Ahnung, wie man die hiesigen Frauen behandelt. Vivianne wartete nicht einmal ab, bis sein blonder Schopf hinter einer Säule verschwunden war, bevor sie mit halb geschlossenen Lidern ihren vampirischen Instinkten freien Lauf ließ. Den einzigen Anhaltspunkt bot der typische Duft des Einbrechers. Der war zwar überdeckt von Millionen anderer Gerüche, aber sollte er sich heute hier aufhalten, würde sie ihn finden. Große Chancen rechnete sie sich jedoch nicht aus, und tatsächlich entdeckte sie keinerlei Spuren von diesem eigentümlich harzigen Geruch, der in ihrer Erinnerung unverwechselbar mit dem Dieb verknüpft war.
    Eine winzige Bewegung in der Atmosphäre war die einzige Warnung. Vivianne versiegelte eilig ihre Gedanken und Gefühle, indem sie sich eine Schutzhülle, ähnlich einer zweiten Haut, vorstellte und fast automatisch an ihren Armreif griff. In diesem Zustand würde sie ein Sterblicher nicht einmal wahrnehmen, wenn sie ihn berührte. Der Fremde jedoch, der sie quer über die Köpfe der Tanzenden ansah, schenkte ihr ein kaltes Lächeln und war so schnell verschwunden, dass sie an eine Erscheinung geglaubt hätte, wäre nicht im selben Augenblick Morgan neben ihr

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