Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
Vom Netzwerk:
selben Augenblick, was mit ihr geschah, und begann zu schreien. Das Publikum jubelte, der Vergewaltiger stieß ein letztes Mal zu, und Vivianne glaubte zu hören, wie die Knochen der Bemitleidenswerten splitterten. Carl beugte sich über sein Opfer und trank, was noch an Blut geblieben war, und endlich versank die Szene in barmherziger Dunkelheit.
    Sebastian klatschte ebenso begeistert wie die anderen Zuschauer. «Wunderbare Schauspieler. Sie wissen, was sie tun. Niemand ist zu Schaden gekommen!», fügte er noch wie zu ihrer Beruhigung hinzu.
    Nach diesem Wechselbad der Gefühle war Vivianne nicht sicher, ob ihre Beine sie überhaupt noch tragen würden. Aber Sebastian blieb an ihrer Seite, legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie hinaus. Und während hinter ihnen auf der Bühne ein neues Spektakel inszeniert wurde, kehrten sie gemeinsam zurück in eine andere, gleichsam lichtere Welt, in der zahllose Kerzen in glitzernden Lüstern die Gäste mit ihrem warmen Schein umschmeichelten und Geplauder zu gedämpfter Musik von einem gelungenen Abend kündeten.
    Es tat so gut, nach all der Zeit endlich wieder die Aufmerksamkeit eines Mannes zu spüren. Ein Mann, der ihr das Gefühl gab, nur Augen für sie zu haben; der sie beschützt hatte, als sie schwach und verletzlich gewesen war. War das, was sie eben erlebt hatte, eine vollendete Illusion gewesen oder die wahre Welt der Vampire, vor der sie bisher stets ihre Augen verschlossen hatte? Vivianne spürte die Trauer des Raubtiers in ihrer Seele, das sich – wieder an die Kette gelegt – nach einem neuen Ausflug in diese bedenkenlose Freiheit sehnte. Doch sie wollte nichts mehr davon wissen. «Komm, lass uns tanzen!»
    Wie erwartet führte Sebastian sie in vollendeter Eleganz über das Parkett, und Vivianne versenkte die beunruhigenden Erinnerungen und Gefühle in der Harmonie ihrer Körper. Morgan hatte gewiss auch irgendwann in seinem Dasein tanzen gelernt, aber ihn konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie er sich zu schmeichelnden Melodien im Kreis drehte. Sebastian war ganz Gentleman, er machte amüsante Bemerkungen über andere Gäste und ließ auch den Statthalter nicht aus. Schon bald glaubte sie, das grausame Spektakel nur geträumt zu haben. Man erkannte den erfahrenen Charmeur, der Jahrhunderte Zeit gehabt hatte, seine Manieren zu kultivieren, sie störte das nicht. Dennoch blieb die Anspannung, das Bewusstsein, jede Sekunde aufmerksam sein zu müssen. Eine Anspannung, die sie in dieser Form in Morgans Gesellschaft bisher nicht ein einziges Mal gespürt hatte. Sie mochte sich mit dem unmöglichen Vampir streiten und seine ruppige Art verachten, aber bisher hatte sie sich in seiner Gegenwart jederzeit sicher gefühlt. Sebastians Geplauder bewies, wie sehr er sich seiner Herkunft bewusst war. Von Adel, keine Frage, und gewiss aus einer der besten Familien erweckte er den Eindruck, man müsse sich geehrt fühlen, von ihm beachtet oder gar umworben zu werden. Morgan schien die Herkunft anderer gleichgültig zu sein. Immerhin war er mit einem Lichtelf befreundet, von etwas Ähnlichem hatte sie noch nie gehört. Ihr Wohlstand schien ihn überhaupt nicht zu beeindrucken. Und während ihre Brüder fanden, dass sie es nicht nötig habe, ihr eigenes Geld zu verdienen, störte ihn, dass sie nicht arbeitete. Obwohl sie dies sehr wohl tat, ihre Agentur war ihr wichtig und sie gab sich große Mühe, nicht nur erfolgreich, sondern auch eine verantwortungsvolle Arbeitgeberin zu sein. Aber dies nahm er bequemerweise nicht zur Kenntnis, weil es nicht in sein Bild passte. Für ihn war sie allem Anschein nach nichts weiter als ein lästiges Küken, eine Novizin, der man aus Galanterie half, weil sie allein den Gefahren des dunklen Daseins nicht gewachsen zu sein schien. Dann erinnerte sie sich an seine abfälligen Bemerkungen über Dunkelelfen und auf einmal war sie sicher: Morgan wäre nicht begeistert, wenn er ihr Geheimnis herausfände. Im Gegenteil, sie war ziemlich sicher, dass er sich von ihr abwenden würde. Überrascht begriff sie, dass er sich eher mit einer Bluthure, für die er sie hielt, abgab als mit einer Dunkelfee. Dieser Gedanke schmerzte sie völlig unerwartet. Vivianne wünschte, er würde sie akzeptieren, wie sie war.
    «Woher kommt der finstere Blick?», unterbrach Sebastian ihre Überlegungen und winkte einen Kellner herbei. Er nahm ein Glas vom Tablett, das er ihr reichte. «Trink! Das wird dich aufheitern.» Die Musik umschmeichelte

Weitere Kostenlose Bücher