Der Blutkristall
ihre Sinne, und Sebastian zog sie an sich, um ihr belanglose Kleinigkeiten ins Ohr zu flüstern. Sie hörte eine Frau lachen und stellte fest, dass sie selbst es war. Gedankenverloren nahm sie einen Schluck aus ihrem Glas.
Es war Blut.
Ehe sie reagieren konnte, schoss eine Hand vor und entriss ihr das Glas. Einige Tropfen landeten auf ihrem Kleid. Vivianne, abrupt herausgerissen aus ihrem schmeichelnden Kokon, fuhr herum: «Sieh, was du angerichtet hast!»
«Ist es so schwer, nur einmal zu tun, was ich dir sage?» Morgans Stimme klang dunkel vor unterdrückter Wut.
«Wie es aussieht, kommst du zu spät. Diese junge Dame möchte den Abend mit mir verbringen.» Sebastians britischer Akzent war auf einmal unüberhörbar.
«Du!» Die beiden Vampire standen so dicht voreinander, dass sich ihre Nasenspitzen berührt hätten, wäre einer von ihnen noch eine halbe Fußlänge vorgetreten.
Vivianne bemerkte, dass man sich bereits nach ihnen umdrehte. Gewalt lag in der Luft. «Jungs, wenn ihr euch schlagen möchtet, dann tut das doch bitte draußen. Es ist sportlicher und die Möbel bleiben auch ganz.» Diese näselnde Upperclass-Nummer hatte nicht nur Sebastian drauf, der ihr auch prompt für Sekunden seine Aufmerksamkeit gönnte. Fein. So rasch, wie neuerdings jeder zu glauben schien, war sie nicht in eine Schublade zu stecken. Zufrieden mit sich sah sie die beiden an. Raubtiere mochten die beiden Vampire im normalen Leben sein, jetzt waren sie Bestien. Lange Reißzähne glitzerten im Kerzenlicht und das tiefe Grollen aus ihren Kehlen hatte nichts Menschliches mehr. Irgendwer, sie war es ganz gewiss nicht, hatte die Geistesgegenwart besessen, diese peinliche Szene vor den Augen der Sterblichen zu verbergen. Nur einige Vampire warteten neugierig auf den Ausgang der Konfrontation. Sich in der vampirischen Gesellschaft bedeckt zu halten, das sah gewiss anders aus, und Vivianne wurde allmählich ebenfalls wütend. Dies wiederum schenkte ihr die notwendige Energie, ihre Kräfte zu fokussieren. Federleicht landete ihre Hand auf Morgans Arm. «Viens, mon vieux! Ich fürchte, meine Migräne raubt mir den Verstand.» Es sprach für seine Selbstbeherrschung, dass er sie nicht sofort anfiel. Sieh mich an, du Idiot! Merkst du nicht, dass wir eine prächtige Posse zum Besten geben? Morgan drehte tatsächlich seinen Kopf in ihre Richtung, und in diesem Augenblick legte sie alle Magie, die sich in dieser kurzen Zeit heraufbeschwören ließ, in ihren Blick. Komm zu mir! Sie war selbst vielleicht am meisten überrascht, als er ohne zu blinzeln ihrem Befehl folgte. Eilig hakte sie sich bei ihm unter, damit er ihr nicht doch noch entwischen konnte, und verließ mit schwingenden Hüften und einem willenlosen Vampir am Arm den Ballsaal.
Sebastian sah ihnen über die Köpfe der Tanzenden nach. Die Aufgabe, die ihn nach Europa geführt hatte, nahm eine interessante Wendung. Er hatte nicht erwartet, Morgan auf einem Fest des hiesigen Statthalters zu treffen, zumal in solch reizender Begleitung. Er beschloss zu beobachten, was es mit der Verbindung zwischen den beiden auf sich hatte. Am Ausgang angekommen sah sich Vivianne noch einmal über die Schulter nach ihm um. Ihre Blicke trafen sich. Und jetzt wusste sie auch, wo sie Sebastian zum ersten Mal gesehen hatte. Er war der Unbekannte im Bains Douches gewesen.
Kapitel 8
In ihrem Apartment angekommen warf sich Morgan auf das elegante Sofa. Seine Begleiterin zog die Schuhe aus und ließ sie achtlos fallen.
Moment mal – achtlos? Aha. Sie hob die teuren Gebilde aus Riemchen, messerscharfen Stilettos sowie einer hauchdünnen Sohle auf und ging ins Schlafzimmer. Zweifellos in der Absicht, sie zwischen zartem Papier in ihren Karton zu betten. Erstaunlich für eine Luxusgöre, die zu Hause gewiss Personal hatte, das sich um solche Dinge kümmerte. Morgan sah ihr nach. Er fand es süß, wie sie auch ohne ihre hohen Absätze immer noch auf Zehenspitzen ging und ihn trotzdem an ein Entchen erinnerte, das zum Teich watschelte. Am liebsten wäre er ihr ins Schlafzimmer gefolgt. Aber für erotische Abenteuer hatten sie dummerweise überhaupt keine Zeit, denn dem Dieb ging es gar nicht gut. Er hing in der Remise des Herrenhauses, da half auch kein Blutkristall, sein Bewacher war absolut unempfänglich für dessen Schutzmagie.
Trotzdem konnte Morgan seinen Blick nicht von Vivianne wenden, als sie durch die Tür kam und ihn nicht einmal ansah, als sei es selbstverständlich, einen dreihundert Jahre alten
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