Der Blutkristall
haben wir sie dann ganz allein aufgegriffen?»
Sebastian ignorierte ihn, und seine Miene zeigte deutlich, dass es nicht zu seinen Gewohnheiten gehörte, sich von Dienstboten befragen zu lassen. Dem blasierten Ton nach zu urteilen, den er anschlug, schien er dem
Statthalter kaum mehr Wertschätzung entgegenzubringen. «Mein lieber Freund, ich weiß nicht genau, was diese Aufregung zu bedeuten hat. Aber sicher wirst du mir anvertrauen, warum dein Hofstaat herumschwirrt wie ein entflohener Schwarm Teufel.» In derselben Sekunde stand er neben dem Thron, beugte sich hinab und flüsterte vernehmlich: «Ich habe heute eine Menge Dinge gesehen, die den Rat brennend interessieren würden.»
Der Statthalter lief rot an. Eine Ader schwoll an seinem Hals und er brüllte: «Was ist das hier? Ein verdammter Taubenschlag, wo jeder kommen und gehen kann, wie er will?» Er sprang auf, und Vivianne drehte sich zur Eingangstür um, die in dieser Sekunde von einer Dominatrix aufgestoßen wurde. Sie war gut einsachtzig groß, hatte feuerrote, taillenlange Haare und ihr Catsuit aus farblich korrespondierendem Lack ließ wenig Raum für Mutmaßungen über die vollkommene Figur der Master-Purgatorin. Flankiert wurde sie von zwei etwas kleineren, aber mit den schwarz glänzenden Anzügen nicht weniger aufreizend gekleideten Frauen. Eine trug ihr Haar nachtschwarz und kurz geschnitten, die Mähne der anderen war schlohweiß, ähnelte aber ansonsten der Frisur einer Achtziger-Jahre-Schönheit unter Strom, so sehr standen die stacheligen Strähnen in alle Himmelsrichtungen ab. Der Statthalter griff nach seinem goldenen, mit Edelsteinen verzierten Becher, nahm einen Schluck daraus und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Dann ließ er sich in seinen Thronsessel fallen und bemühte sich um einen freundlichen Gesichtsausdruck. Niemand konnte es sich leisten, die Purgatoren zu verärgern. Aber dafür schien es bereits zu spät, denn die Rothaarige ging mit langen Schritten auf ihn zu und sie sah dabei nicht glücklich aus. «Was fällt dir ein, uns hierher zu zitieren, als gehörten wir zu deiner jämmerlichen Gefolgschaft?»
Der Statthalter wollte etwas entgegnen, doch sie ließ ihn nicht ausreden. «Weißt du nicht, dass wir Stillschweigen geschworen haben und nur der Rat auf einstimmigen Beschluss Näheres über unsere Einsätze erfahren darf?» Dann entdeckte sie Morgan. «Du!» Ihr Blick wurde eine Spur milder. Aber vielleicht hatte sich Vivianne auch getäuscht. Diese kaum merkliche Veränderung dauerte nur wenige Sekunden. Morgan lächelte spitzbübisch und wirkte wenig beeindruckt von den drei Furien. «Carl», er zeigte auf den Assistenten des Statthalters, «möchte wissen, ob es stimmt, dass ich den Abend in meiner Wohnung verbracht habe.»
«Und deswegen werden wir von unserer Arbeit abgehalten?» Sie musterte Carl. «Tu das nie wieder!» Ihre beiden Begleiterinnen machten einen kleinen Schritt nach vorn, und Vivianne hätte schwören können, dass sein ohnehin weißes Gesicht eine Spur bleicher wurde, sofern man dies bei Vampiren überhaupt mit Gewissheit sagen konnte. Fast hätte sie gegrinst, aber die Purgatoren animierten nicht unbedingt zur Fröhlichkeit. Umso erstaunter war sie, als die Rothaarige verkündete: «Wir haben in der fraglichen Zeit Whist gespielt.» Damit drehten sich alle drei auf dem Absatz um und ließen eine Gruppe sprachloser Vampire zurück.
Sebastian fasste sich als Erster wieder, er klopfte Morgan jovial auf die Schulter, als wären sie noch die Freunde von einst. «Alle Achtung, macht ihr so etwas öfter?»
Auch Vivianne hatte große Schwierigkeiten, sich die drei Furien bei einem netten Spieleabend mit Morgan gewissermaßen als Hahn im Korb vorzustellen. Und dann ausgerechnet Whist. Dieses Spiel kannten doch heute höchstens noch ältere Damen mit getönter Lockenfrisur unter dem Namen Bridge.
Morgan dagegen schien nichts Ungewöhnliches an dem ungewöhnlichen Zeitvertreib zu finden. Er tat einen Schritt beiseite und stand nun wieder nahe bei Vivianne. «Gelegentlich. Wir treffen uns zuweilen, wenn sie gerade nichts Besseres zu tun haben. Du weißt, dass ich einem guten Kartenspiel niemals abgeneigt bin. Und wer würde diesen drei wunderbaren Damen schon einen Wunsch abschlagen?»
«In der Tat», entgegnete Sebastian und erlaubte sich ein feines Lächeln.
Morgan nickte ihm zu und sah zum Statthalter. «Nun, da die Angelegenheit aufgeklärt ist, würden wir uns gern zurückziehen. Gewiss
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