Der Blutkristall
zu besänftigen. Offenbar wusste er von ihren guten Beziehungen zum Magischen Rat und seiner Exekutive. «Darf ich Sie zur Villa bringen?»
Um Himmels willen, bloß nicht! , diese Worte lagen ihr schon auf der Zunge, aber Vivianne riss sich zusammen und hauchte stattdessen: «Wenn Sie so freundlich wären, mich zu meinem Apartment zu begleiten? Wasser ist nicht mein Element.» Die Untertreibung des Jahrhunderts. Ihr war immer noch ein wenig übel von der Überfahrt. Vampire mochten eben keine Gewässer, fließend oder nicht.
«Selbstverständlich! Bestimmt wird Morgan Llwchmynydd Sie bereits vermissen.» Vivianne war nicht sicher, ob es ein frivoler Unterton war, den sie herauszuhören glaubte, oder ob der Vampir unterstellte, dass Morgan etwas mit dem Verschwinden des Diebs zu tun hatte und eben nicht auf sie wartete. Sie erinnerte sich an Morgans Bemerkung, dass er beim Statthalter nicht wohlgelitten sei, und tatsächlich war die Begrüßung wenig herzlich ausgefallen. Fast so, als wäre er lediglich als ihr Begleiter geduldet.
«Gewiss.» Vivianne legte ihre Hand auf den dargebotenen Arm und ließ sich zu ihrem Gästehaus begleiten. Unterwegs schickte sie diverse Stoßgebete gen Himmel, Morgan möge inzwischen, wie von Cyron prophezeit, zurück sein. Glücklicherweise schwieg der Vampir an ihrer Seite, und auf diese Weise blieb ihr ausreichend Zeit, diverse Fluchtszenarien zu entwerfen und sich logisch klingende Erklärungen zu überlegen, sollte Morgan nicht, wie erhofft, an der Tür ihres Bungalows auf sie warten. Sie übte gerade diese Version: Wie konnte ich das vergessen, er hatte doch noch eine Verabredung mit Sebastian, ähm, dem Earl of Rochester? , da klopfte ihr Begleiter an die Tür des Gästehauses. Tödliche Stille. Was das bedeutete, konnte sie sich bestens vorstellen. Kein Leben war im Inneren zu spüren. Bevor die Panik von ihr Besitz ergreifen konnte, begann Vivianne ihre Muskeln zu lockern, um auf das, was nun kommen würde, gut vorbereitet zu sein. Der Vampir hob erneut die Faust – da öffnete sich die Tür. Morgan sah so zerzaust aus, als habe er einen Höllenritt hinter sich, aber er lehnte lässig – und ebenso leicht bekleidet wie nass – im Türrahmen, als käme er gerade aus dem Bad. Tatsächlich wehte ihr der Duft eines teuren Duschgels entgegen und das Handtuch, das er um seine schmalen Hüften geschlungen hatte, drohte jederzeit herunterzurutschen.
«Chérie! Da bist du ja endlich.» Er lachte. Es klang überaus verlockend, und sogar sie nahm ihm diese Szene beinahe ab. «Ich dachte schon, du wärst im See ertrunken.» Erst jetzt schien er den Vampir an ihrer Seite wahrzunehmen. Seine Augen weiteten sich erschrocken. «Ist etwas passiert?»
Vivianne wollte zu einer Erklärung ansetzen, aber Morgan sprang vor, packte ihren erschrockenen Begleiter am Hals und zischte: «Was hast du ihr angetan?» Seine Hand schloss sich so fest um die Kehle des Mannes, dass dieser kein Wort hervorbringen konnte.
«Morgan, mon Chou», flötete sie mit aufgesetztem französischen Akzent. «Nichts ist geschehen. Der gute Mann hat mich doch nur sicher nach Hause begleitet.»
«Warum sollte das notwendig sein? Wir befinden uns im Garten des Statthalters.» Morgan schüttelte den Vampir. «Red schon!»
«Routine», sagte dieser und hustete, bis er wieder ausreichend Luft bekam.
«Unfug.» Morgan starrte ihn an. Es dauerte nicht lange und er hatte alle wichtigen Informationen in den Gedanken seines Gegenübers entdeckt. Der Vampir war noch jung, keine zehn Jahre lebte er in ihrer Welt. An und für sich ausreichend Zeit, um die wichtigsten Regeln zu lernen, sollte man meinen. Er aber war niemals in den Genuss einer umfassenden Ausbildung gekommen. Der Mann wirkte attraktiv und sympathisch. Er war bei seiner Transformation gut in Form gewesen, offenbar hatte dies Carl gefallen, sodass er ihn länger als üblich zu seinem persönlichen Gespielen gemacht hatte. Jetzt gab es einen anderen, der den Platz des jungen Vampirs eingenommen hatte, und er war froh, diesen Job im Haushalt des Statthalters bekommen zu haben. Andere aus Carls Harem hatten weniger Glück gehabt und das Tageslicht lange vor ihrer Zeit gesehen. Beinahe tat es Morgan leid, ihn so unter Druck zu setzen. Der Mann würde dafür bezahlen müssen, wenn er etwas ausplauderte, was besser ungesagt geblieben wäre. Doch hier ging es um Wichtigeres. Cyron hatte ihn gewarnt, aber in der Eile keine Details verraten können. Nun wusste Morgan, dass
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