Der Blutkristall
habt Ihr Wichtigeres zu tun.»
Der Statthalter entließ sie mit einer ungeduldigen Geste.
Vivianne widerstand auf dem Rückweg durch die Gärten der Versuchung sich umzudrehen. Sie wunderte sich über Morgans Gelassenheit. Denn zweifellos wusste er ebenso gut wie sie, dass Sebastian ihnen folgte. Vor dem Eingang des Gästehauses wuchsen Nadelbäume, hohe Eiben, deren Geruch nicht verriet, wie giftig sie waren. Als beide die dichten Büsche umrundeten, sahen sie den Vampir vor ihrer Tür stehen.
«Was willst du?» Zu behaupten, dass Morgan wenig erfreut klang, seinen ehemaligen Freund dort zu sehen, wäre die Untertreibung des Jahres gewesen. Vivianne wusste nichts über ihre gemeinsame Vergangenheit, aber obwohl er dieses Mal nicht gleich auf ihn lossprang, konnte sie deutlich den Ärger ihres Begleiters spüren. Es war ihm irgendwie gelungen, sich unbemerkt zwischen Vivianne und Sebastian zu positionieren, und er wartete ungeduldig auf eine Antwort.
«Nun, erst einmal wäre es vielleicht nett, wenn du deiner reizenden Begleiterin die Gelegenheit geben würdest, sich zu bedanken.»
Vivianne wollte schon den Mund öffnen, denn obwohl sie nicht wusste, warum er für sie gelogen hatte, war sie ihm tatsächlich dankbar.
Doch Morgan schnitt ihr rüde das Wort ab. «Wofür? Dass du segeln warst oder dass du herkommst, um deinen Preis von ihr einzufordern.»
Sebastian sah ihn verletzt an und wollte gerade eine passende Antwort geben. Dann schien er sich aber an den ursprünglichen Grund für sein Auftauchen zu erinnern. Er machte eine hilflose Geste. «Wir haben beide Fehler gemacht. Es wird Zeit, die Angelegenheit wie Gentlemen zu klären.»
«Gentlemen!» Morgan lachte bitter. «Warst du es nicht, der mich ständig an meine Herkunft erinnert hat? Ich höre dich noch heute sagen: Du musst dir immer deines Standes bewusst sein. Ein geborener Vampir ist alles, ein geschaffener ein Nichts. » Dabei imitierte er Sebastians Tonfall bühnenreif.
«Das ist mehr als zweihundertfünfzig Jahre her, wir waren beide jung, und ich wusste nicht ...», er machte eine Handbewegung, als wolle er die Erinnerung an seinen damaligen Snobismus vertreiben. «Wir haben das doch längst geklärt. Für diese albernen Streitereien habe ich keine Geduld mehr.» Sebastian trat ganz dich an Morgan heran. «Auch wenn du es nicht glauben willst, mir hat unsere Freundschaft etwas bedeutet. Du warst es, der sie weggeworfen hat. Und wofür?» Aus seiner Kehle kam ein seltsames Geräusch. Fast hätte man ihm abnehmen können, dass er über echte Gefühle sprach. «Ich habe einen großen Fehler gemacht. Aber wenn du jetzt nicht mit mir reden willst, dann vielleicht später. Glaube mir, eines Tages wirst du mir für alles danken.»
«Ich scheiß auf deinen Großmut.»
«Du bist und bleibst ein Prolet, Morgan Llwchmynydd!» Und damit war er verschwunden.
Morgan schloss mit einem Fluch die Tür auf, und Vivianne hütete sich, nach einer Erklärung zu fragen. Er würde ihr erzählen müssen, was hinter dieser bitterbösen Auseinandersetzung steckte, aber nicht jetzt. Sie wollte sich abwenden, um ihm den nötigen Freiraum zu geben und weil sie ihre Sachen zusammenpacken musste, als er seinen Mantel auszog, über einen Stuhl warf, sich auf das Sofa fallen ließ und – sie konnte es kaum fassen – den Fernseher einschaltete.
«Willst du etwa hier bleiben?» Sie sah ihn ungläubig an.
Er zappte durch die Kanäle, bis er irgendwo einen Musiksender fand, und drehte die Lautstärke höher. «In einer halben Stunde geht die Sonne auf. Das reicht niemals bis nach Hause. Es sei denn, du kannst durch die Zwischenwelt reisen ...?»
Natürlich wusste er, dass sie zu jung war, um ein solches Risiko einzugehen. Vivianne hob ihre Stimme, um gegen den Lärm anzukommen, den ein paar mittelmäßig begabte Jünglinge auf dem Bildschirm zu verantworten hatten. «Es gibt nur ein Bett.»
Er sah sie nicht einmal an. «Ich beiße nicht, Prinzessin. Oder hast du Angst vor mir?»
«Ich habe vor niemandem Angst!» Vivianne verschwand ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu. Prinzessin! Eine Frechheit. Sie hatte doch gerade erst bewiesen, dass sie aus ganz anderem Holz geschnitzt war. Sie war es doch gewesen, die den Dieb befreit und in Sicherheit gebracht hatte. Zugegeben, nicht vollständig ohne fremde Hilfe, und es hatte sich auch noch keine Gelegenheit ergeben, ihm von ihrem heldenhaften Einsatz zu berichten. Aber er war schließlich nicht ohne Grund auf das
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