Der Blutkristall
Ahnung, wo ich sie suchen sollte. Sie hätte überall sein können. Und immerhin hatte ich den Stein. Da habe ich mir gedacht, das Beste ist, wenn ich nach Hause zurückfahre. Hier kenne ich mich aus und vielleicht werde ich das Ding auch wieder los.» Er sah Vivianne jetzt ganz eindeutig erwartungsvoll an, bis sie den Kopf schüttelte. «Das habe ich befürchtet. Du kannst nicht vielleicht deine ...», Salai besaß den Anstand zu erröten, «... also die Eigentümer fragen, ob es eine Möglichkeit gibt?»
«Glaube mir, das möchtest du nicht. Sie würden dir den Blutkristall notfalls auch aus dem Körper schälen.»
Ihn schauderte sichtbar vor dieser Drohung. «Aber die Legende sagt, dass mit dem gewaltsamen Tod des Trägers der Blutkristall ebenfalls zerstört wird.»
«Willst du dich darauf verlassen? Die Legende sagt auch, dass der Stein seinen Wirt allmählich vernichtet, weil er sich von dessen Blut ernährt.»
Salai wurde aschfahl. «Wirklich?»
«Ich sollte eigentlich kein Mitleid mit dir haben, schließlich hast du mich bestohlen. Aber ich möchte genauso gern wie du, dass der Blutkristall so schnell wie möglich wieder in seiner Schatulle ruht und meine – die ursprünglichen Besitzer in glücklicher Ahnungslosigkeit weiterleben. Aber eines musst du mir noch erklären: Warum bist du zum Statthalter gegangen?»
«Ich habe dem Vermittler gesagt, dass ich mich in Paris beobachtet gefühlt hätte. Stimmte ja auch irgendwie. Und deshalb wäre ich aus der Stadt verschwunden. Zum Schutz des Steins gewissermaßen. Er hat es geglaubt.»
«Tatsächlich? Du solltest deinen Agenten wechseln.»
Salai schnaufte, als hätte er diese Entscheidung für sich längst gefällt. Ein kluger Elf. Er räusperte sich. «Ich sollte zur Party des Statthalters kommen, man würde mich dort finden. Ich habe schon ein paar Jobs für den hässlichen Knopf erledigt, da war es kein Problem hineinzukommen. Dummerweise bin ich Carl über den Weg gelaufen, und der hat sofort bemerkt, dass was nicht stimmt. Natürlich hat er mich eingesperrt. Hätten wir einen Rat, der weniger korrupt wäre, die beiden hätte man längst aus dem Verkehr gezogen.» Vivianne stimmte ihm aus vollem Herzen zu, behielt ihre Meinung jedoch für sich. Salai machte eine Geste, die man als Enttäuschung deuten konnte, und sagte: «Den Rest kennst du.»
«Du hast gar nicht versucht, den Blutkristall an den Statthalter zu verkaufen?»
Jetzt wirkte er aufgebracht. «Bin ich blöd? Irgendwo unter den Gästen sitzt der gruseligste Auftraggeber, den ich je hatte, und ich verticke
die Ware unter seinen Augen an jemand anderen? Nee, echt nicht. Außerdem ...» Vivianne sah ihn erwartungsvoll an und schwieg. Er wand
sich ein wenig, bevor er fortfuhr. «Außerdem ist da auch noch dein Freund.»
«Was ist mit Morgan?»
«Morgan? Du meinst diesen komischen Versicherungsheini? Der doch nicht!»
Sie musste nicht weiterfragen, um zu wissen, dass Cyron gemeint war. «Und vor ihm fürchtest du dich?» Sie dachte daran, wie der Elf ohne mit der Wimper zu zucken ein Feuer unter dem Dieb angezündet hatte, obwohl er doch gewusst haben musste, dass dieser ebenfalls ein Feenwesen und von seiner Art war. Salais weit aufgerissene Augen waren ihr Antwort genug.
Im Lauf ihrer Unterhaltung hatte er immer häufiger zum Fenster gesehen, und Vivianne fragte sich, was er damit bezweckte. Sollte er erwarten, dass sie bei Sonnenaufgang ins Koma fiel, dann stünde ihm eine Überraschung bevor. Doch dann erinnerte sie sich daran, wen sie vor sich hatte. Einen Lichtelf nämlich, der möglicherweise wie seine dunklen Verwandten mehr Kräfte besaß, sobald er gewissermaßen in seinem Element, dem Tageslicht, war. Salai wartete auf den Sonnenaufgang, um ihr zu entwischen. Eine unangenehme Überraschung stand ihm bevor. Vivianne legte einen Finger auf ihre Lippen und tat, als habe sie ein verdächtiges Geräusch gehört. Tatsächlich aber lauschte sie in das Haus hinein und versuchte herauszufinden, ob es irgendwo eine Wohnung gab, in der sich niemand aufhielt. In dieser verschlampten Junggesellenbude wollte sie auf keinen Fall bleiben. Und das nicht nur, weil sie die Vorstellung, den Tag im Schrank eines ungepflegten Vampirs zu verbringen, eklig fand, sondern auch, weil ihr die Gefahr ungleich größer erschien, hier von einem Spürhund des Statthalters aufgestöbert zu werden als in einer unbekannten Wohnung. Ihre Instinkte waren unter all dem Luxus und komfortablen Schlendrian, den sie in
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