Der Blutkristall
brauche keine Hilfe!», zischte sie zwischen ihren Reißzähnen hervor. Und ehe er begriff, was geschah, hatte sie ihre Klauen bereits in seinen Hals geschlagen.
«Vivianne, nein!» Salais Warnung kam zu spät, und nach einer Schrecksekunde schleuderte der Vampir sie beiseite. Ihr Kopf schlug heftig an die gegenüberliegende Wand. Doch statt hinabzurutschen, um anschließend regungslos liegen zu bleiben, und Letzteres hätte sie wahrlich gern getan, sprang sie auf und griff den Vampir erneut an. Dieses Mal gelang es ihr, den magischen Dolch zu zücken und ihn genau zu platzieren. Der Feind erstarrte in der Bewegung, dann sackte er langsam in sich zusammen. Sie wusste, ihr Zauber würde nicht lange anhalten, und sie wollte ihm deshalb mit einem Ruck das Genick brechen. Doch sein Spießgeselle war nicht untätig geblieben. Er trank gierig aus Salais Halsschlagader und hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn in Trance zu versetzen. Der Elf schrie vor Schmerzen. Erschrocken wollte sie ihm zur Hilfe eilen. Salai durfte nichts geschehen!
«Was geht hier vor?» Morgans Magie ließ alle in ihrer Bewegung erstarren. Die Situation bekam für Vivianne etwas Surrealistisches, sie fühlte sich nicht mehr als Teil der eben noch hektischen Szene. Stattdessen stand sie, den Rücken dicht an die Wand gepresst, unbeweglich da und beobachtete, wie Morgan mit der einen Hand den zu neuem Leben erwachenden Vampir am Kragen packte und mit der anderen den zweiten Blutsauger von Salai fortzog. Mit einer schnellen Bewegung schlug er ihre Köpfe zusammen, als betätige er im Vorübergehen einen Gong. Leblos glitten sie zu Boden, und die glasklare Flüssigkeit, die aus der Stirn des einen sickerte, würde Vivianne, ebenso wie das knackende Geräusch der aufeinanderprallenden Hirnschalen, durch viele künftige Albträume begleiten. Morgan schien unempfindlich gegen Schrecken dieser Art zu sein, aber aus unerfindlichen Gründen wandte er sich wütend zu ihr um. «Was denkst du dir eigentlich dabei ...?» Weiter kam er nicht, denn der Anführer begann, sich trotz seiner schweren Verletzungen erneut aufzurichten. Er war offenbar fest entschlossen, den Kampf fortzuführen.
Morgan zerrte ihn vollends auf die Beine, nur um ihn am ausgestreckten Arm auf Augenhöhe zu halten. «Du kannst Carl sagen, dass ich seine Aufmerksamkeiten zu schätzen weiß, aber Vivianne steht unter meinem Schutz», er warf einen Blick zur Seite und die Linien um seine Augen wurden ein wenig tiefer, «solange sie dies wünscht.» Damit stieß er ihn zu Boden. «Mach dir keine Hoffnungen. Du hast mich noch nie besiegt, und das wird auch so bleiben. In jedem Fall darf ich dir versichern, dass der Causantín-Clan äußerst empfindlich darauf reagiert, wenn einem seiner Schützlinge etwas zustößt.» Er gönnte seinem Gefangenen ein falsches Lächeln, das selbst Vivianne beeindruckte, die ihn doch nun schon ganz gut kannte. Sie fragte sich, wie es diesem ruhigen – in ihren Augen manchmal sogar viel zu ruhigen – Vampir gelang, seine Gegner derartig einzuschüchtern. Besaßen normalerweise denn nicht nur die mächtigsten Dunkelelfen ähnliche Überzeugungskräfte? Und mitten in diesen Überlegungen machte sich wieder einmal ihre Erschöpfung bemerkbar. Die Nacht würde bald vorüber sein. Morgan schien dies ebenfalls zu spüren. «Neuer Tag, neues Spiel! Nicht wahr?» Ihn plagte kein Mitleid, als er die Agenten des Statthalters in den aufziehenden Tag hinausschickte. Sein kampferprobter Widersacher würde einen Weg finden, sich zu retten, und was aus dessen Begleiter wurde, interessierte ihn nicht im Geringsten. In weniger als einer Minute würden die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont lugen. Das war alles, was zählte.
«Wo ist der Elf?»
«Wer?» Morgan sah Vivianne irritiert an. Doch für Erklärungen war jetzt keine Zeit. Bevor der Tag seinen Tribut verlangte, zog er sie näher. Der Anblick der tiefen Wunde auf ihrer Stirn weckte eine mörderische Wut in ihm und es tat ihm leid, nicht härter mit den Angreifern umgegangen zu sein. Doch das konnte warten, gewiss war es nicht das letzte Mal, dass er mit Carls Schergen zu tun haben würde. Er sah zum Fenster, hinter dessen Scheibe ein rosa Himmel den nahen Tag ankündigte. Sie durften keine Sekunde länger bleiben. Eine geschaffene Vampirin wie Vivianne würde hier nicht überleben. Deshalb ging er das Risiko ein und nahm seine tapfere Kämpferin mit sich durch die Zwischenwelt an den sichersten Ort, der ihm
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