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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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inbrünstig wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie flehte Gott um Gnade für Hinrik an, und sie bat den geliebten Mann um Verzeihung für die Kratzbürstigkeit, die sie zuweilen an den Tag gelegt hatte, vor allem aber dafür, dass sie ihm die Schuld am Tod ihres Vaters gegeben hatte, obwohl sie doch wusste, dass er lediglich das Verbrechen aufgedeckt hatte, an dem dieser beteiligt gewesen war.
    Ihr Vater hatte eine schwere Schuld auf sich geladen, indem er sich an dem Mord an von Cronens Frau beteiligt hatte. Diese Schuld war zu schwer für ihn geworden. Er war aus dem Leben geschieden, weil er diese Last nicht mehr tragen wollte und konnte. Es tat ihr gut, sich dies |265| endlich einzugestehen und Hinrik von allen Vorwürfen zu entlasten. Als besonders schmerzhaft empfand sie, dass sie aller Voraussicht nach keine Gelegenheit mehr haben würde, es ihm zu sagen.
    Erst gegen Morgen fiel sie in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erwachte, als Spööntje ihr die Hand auf die Schulter legte und sie aufforderte, endlich aufzustehen.
    »Es wird Zeit«, rief die alte Frau. »Wenn wir was erreichen wollen, dann müssen wir jetzt aufbrechen.«
    Kurz darauf ritten die beiden Frauen auf dem Rücken des Pferdes bis an das Ufer der Stör. Dort ließen sie sich von dem Fährmann Friedrich übersetzen, der wortlos einige kleine Münzen entgegennahm, sie ansonsten ignorierte und ihnen auch keine Beachtung schenkte, als sie auf der Störinsel ausstiegen.
    Hier kannte Greetje sich aus. In diesen Gassen mit den vielen Fachwerkhäusern, den kleinen Handwerksbetrieben, den Fischerhütten mit den Gestellen, auf denen die Netze getrocknet und repariert wurden, und den Ständen für die Händler hatte sie als Tochter eines angesehenen und geachteten Arztes ihre Jugend verbracht. Um sich in der Stadt bewegen zu können, ohne Aufsehen zu erregen, hatte sie ein Kleid angezogen, dessen Rock bis auf die Füße reichte, so dass die Hosen nicht zu sehen waren, die sie darunter trug.
    Auf den Straßen herrschte trotz des frühen Morgens bereits reges Leben. Über die Holzbrücke waren viele Bauern in die Stadt gezogen, um hier Gemüse, Obst und Fleisch, Geflügel oder selbstgebraute Getränke anzubieten. Händler breiteten Stoffe aus, stapelten kunstvoll geflochtene Körbe und boten allerlei Nützliches und Überflüssiges an.
    Greetje und die alte Frau stießen immer wieder auf Freunde und Bekannte, mit denen sie ein paar Worte |266| wechselten und bei denen sie sich immer wieder nach Hans erkundigten, dem Knecht. Endlich gab ihnen ein älterer Mann die ersehnte Auskunft.
    »Hans arbeitet unten an der Stör auf der Evers-Werft.«
    Greetje wusste, wo das war. Sie eilte mit Spööntje zu dem Betrieb, in dem kleine, für den Fluss geeignete Kähne und Fischerboote gebaut wurden. Hans stand an einem Gerät, mit dem Bretter für den Schiffbau gebogen wurden. Das Holz wurde zunächst in Wasser gelegt. Hatte es sich vollgesogen, musste er es biegen und mit Pflöcken so in der angestrebten Form halten, dass es sich nicht wieder gerade richten konnte. War das Holz trocken, behielt es die Form, so dass es für den Schiffbau verwendet werden konnte.
    Der Betrieb war nicht groß. Ole Evers beschäftigte nur einen Mann – den ehemaligen Knecht Hans. Dieser zog erschrocken den Kopf ein, als Greetje ihn ansprach und ihm eröffnete, dass sie seine Hilfe benötigte.
    »Was auch immer es ist«, entgegnete er mit stockender Stimme und wich ihrem Blick aus, »ich kann hier nicht weg.«
    »Es geht um Hinrik vom Diek. Er ist in Not. Ohne dich ist er verloren.«
    »Es tut mir leid«, bedauerte Hans so leise, dass er kaum zu verstehen war, und blickte wie ein geprügelter Hund zu Boden.
    Jetzt kam Ole Evers heran, der bis dahin an einem fast fertigen Kahn gearbeitet hatte. »Was ist hier los?«, fragte er. »Warum haltet Ihr Hans von der Arbeit ab?«
    »Wir müssen ihn mitnehmen nach Hamburg«, gab Greetje zurück. Aufgerichtet, mit erhobenem Kopf und ohne Furcht stand sie vor dem Mann, dem die Werft gehörte und der in der Stadt als nicht eben sanftmütig bekannt war. »Wir brauchen ihn als Zeugen vor Gericht.«
    |267| »Das könnt Ihr Euch aus dem Kopf schlagen«, lehnte Evers ab. Er war ein kleiner Mann mit breitem Kopf, einem gedrungenen Rumpf und langen Armen. »Ich kann nicht auf Hans verzichten. Keine Minute lang.«
    »Hinrik vom Diek ist in großer Gefahr«, erläuterte sie. »Er soll morgen hingerichtet werden. Dabei ist er unschuldig. Hans kann es beweisen. Er war

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