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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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»Möwe« zu, das Schiff des Freibeuters Störtebeker, über den in der Hansestadt Hamburg allerlei wüste Gerüchte kursiert waren.
    Sie fragte sich, wer sie entführt hatte, um sie diesem Mann zuzuspielen. Bisher war sie davon ausgegangen, dass Wilham von Cronen dahintersteckte, der sich mit seiner Niederlage nicht abfinden und sich an ihr rächen wollte. Nun aber zweifelte sie daran. Von Cronen stand auf der Seite der Hansestädte, die allesamt Opfer der Piraten geworden waren. Es konnte nicht sein, dass er mit Störtebeker gemeinsame Sache machte.
    Jemand anderes hatte sie entführen lassen. Jemand, den sie überhaupt nicht im Verdacht hatte, mit dem sie möglicherweise nicht das Geringste zu tun hatte und dessen Wahl nur deshalb auf sie gefallen war, weil sie Hinrik so |305| eng verbunden war. Thore Hansen fiel ihr ein, dessen Antrag sie abgelehnt hatte und den sie damit womöglich derart verletzt hatte, dass er vor keiner Tat mehr zurückschreckte. Aber auch das wollte ihr nicht einleuchten. Sie wusste jetzt, dass er der Henker war und somit der verlängerte Arm von Cronens. Warum sollte er sich auf ein Abenteuer einlassen, das ihn selbst das Leben kosten konnte? Greetje war verwirrt.
    »Da drüben auf der ›Möwe‹ wartet man schon auf ein so hübsches Mädchen wie dich«, sagte einer der beiden Männer. Er war klein und untersetzt und hatte ein hässliches Geschwür über der Augenbraue, so groß, dass es einen Teil seines Auges verdeckte. »Da steht nicht nur der Mast! Die Kojen der Besatzung haben allzu lange kein Weib wie dich gesehen.«
    Der andere lachte niederträchtig. Er war wesentlich größer und dabei sehr schmal. Seine Schultern fielen steil ab, und sein Hals war ungewöhnlich lang. Die wenigen Zähne, die er noch hatte, waren schwarzbraun.
    »Die Männer haben dafür bezahlt, dass sie dich kriegen. Sie sind zu beneiden, diese Hunde. Sie werden alle nacheinander mit dir in die Koje gehen, um sich mit dir zu vergnügen. Es sind mehr als fünfzig Mann.«
    »Und wenn sie durch sind«, lachte der mit der Beule auf der Stirn, »fangen sie wieder von vorne an, bis sie keine Lust mehr haben. Dann werfen sie dich auf hoher See über Bord.«
    »Schade«, krächzte der andere und musterte sie mit lüsternen Blicken. »Ich hätte dich gern in meiner Kabine gehabt, bevor die anderen dich nehmen.«
    Greetje war entsetzt und verzweifelt. Ein schreckliches Ende wartete auf sie. Wenn sie nur daran dachte, dass diese wüsten Männer an Bord des Piratenschiffs, die hemmungslos gemordet und geplündert hatten, sie anfassen |306| könnten, wurde ihr schlecht. Sie sah zur »Möwe« hinüber, die nun kaum noch zwanzig Schritte von ihr entfernt war. Johlende und lachende Männer standen an der Reling und warteten auf sie.
    Nein! Keiner von ihnen sollte sie haben!
    Sie sprang auf, ließ sich über Bord fallen und versank augenblicklich in den Fluten.
     
    Mühsam befreite Hinrik sich aus dem Sumpf. Spööntje hatte recht. Es hatte keinen Sinn, landeinwärts zu gehen. Er kehrte zum Kahn zurück und ließ sich dicht unter Ufer treiben, bis er zu einer höher gelegenen Stelle kam, die ihm günstiger erschien. Tatsächlich war der Boden hier fest und trocken, so dass er beschloss, für die Nacht zu bleiben.
    Er sicherte das Boot und stieg einen kleinen Hügel hinauf, von dem er gute Sicht auf die Elbmündung und über das Land hatte. Im Licht der tief stehenden Sonne machte er die Flotte der Koggen aus, die weit draußen Position bezogen hatten und auf Störtebeker und seine Freibeuter warteten. Es waren mindestens fünfzehn Schiffe, und er fragte sich, ob die Piraten angesichts dieser Übermacht eine Chance hatten, die Schlacht zu gewinnen, falls es dazu kommen sollte.
    Am nächsten Morgen ließ er sich ein gutes Stück am Ufer entlangtreiben, bis er eine Kogge entdeckte, die sich ihm näherte. Er legte an, zog das Boot ins Schilf, sicherte es und schlug sich durch dichtes Gebüsch und messerscharfes Schilfgras bis zu einer kleinen Bucht durch. Aus seinem Versteck heraus beobachtete er, wie vier Männer die Kogge verließen und den Spuren folgten, die er hinterlassen hatte. Es würde nicht lange dauern, bis sie den Kahn fanden. Würden sie sich damit zufriedengeben? Er ließ es nicht darauf ankommen, durchschwamm die Bucht |307| und lief auf der anderen Seite über den Sand. Der Wellenschlag löste seine Spuren rasch auf.
    Er beobachtete, dass die Kogge ihren Weg fortsetzte und zu den Inseln im Strom segelte, wo er sie

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