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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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bald aus den Augen verlor. Den ganzen Tag über lief er auf dem Sandstreifen entlang, ohne jemandem zu begegnen. Hin und wieder zog er sich ins Gebüsch zurück, weil Fischer mit ihren Booten in seine Nähe kamen.
    Am Abend entzündete er ein kleines Feuer in einer Senke hinter den Dünen, um sich zu wärmen, und am nächsten Morgen setzte er seinen Weg entlang der Küste fort. Vorsichtig pirschte er sich an einigen Bauernhöfen und Fischerkaten vorbei, bis nach einer weiteren Übernachtung in einem sicheren Versteck Cuxhaven vor ihm auftauchte, ein kleiner Hafen, der hauptsächlich aus Wirtshäusern, Lotsenhäusern und kleinen Werften bestand. Eine Gruppe von Handwerkern war dabei, eine Kaianlage zu errichten. Da er als Fremder in der Stadt sofort auffallen würde, schlug er einen weiten Bogen, um Cuxhaven auf der Landseite zu umgehen.
    Hinrik entfernte sich nun von der Elbe und durchquerte das Land, um gegen Abend die Nordseeküste zu erreichen. In den Dünen schreckte er einen Schwarm Nonnengänse auf. Mit heftigem Flügelschlag und laut schnatternd zogen die Vögel davon. Das Wasser war abgelaufen, und das Wattenmeer dehnte sich bis zum Horizont. Möwen zogen träge über den Strand, und an einem Priel ruhten einige Seehunde. Sie ließen sich durch ihn nicht stören. Knutts und Austernfischer durchwühlten den Schlick mit ihren Schnäbeln auf der Suche nach Garnelen, Muscheln oder Wattwürmern.
    Er kam nun rasch voran, hielt sich hauptsächlich an der Wasserlinie, wo der Boden fest war und nicht bei jedem Schritt unter den Füßen nachgab. Alle paar Meilen aber |308| stieg er die Dünen hinauf, um von ihrem höchsten Punkt aus über das Land und die Küste zu blicken. Vergeblich suchte er nach Anzeichen für eine Ansiedlung der Piraten. Nirgendwo gab es eine große Bucht, eine Flussmündung oder einen tiefen, bis an die Küste reichenden Priel, die den Freibeutern die Möglichkeit geboten hätten, mit ihren Schiffen bis in ihr Versteck zu fahren.
    Auf Anhieb erfolgreich zu sein, damit hatte er ohnehin nicht gerechnet. Daher war er nicht enttäuscht, dass er nicht gleich auf den Unterschlupf der Freibeuter stieß. Sechs Tage, nachdem er Spööntje verlassen hatte, begann sein Herz plötzlich schneller zu schlagen. Vor ihm lag ein tiefer Priel, der bis weit ins Landesinnere vorstieß und nicht trocken fiel, obwohl gerade Ebbe herrschte. Nicht weit entfernt reichte ein Wald mit hohen Bäumen bis nahe an die Dünen heran. Dahinter erstreckte sich eine Moorlandschaft, über die sich niemand der Küste nähern konnte. Der Platz schien ideal zu sein. Er war zum Meer hin offen und zum Land hin durch ein unüberwindliches Moor geschützt.
    Hinrik lief die Dünen hinunter zum Wald. Nach kaum fünfzig Schritten stieß er auf eine Wand aus senkrecht aufgestellten Baumstämmen. Vorsichtig ging er in einiger Entfernung daran entlang und stand wenig später auf einer aus mächtigen Holzbalken gefertigten Brücke, die zum Tor eines festungsartigen Bauwerks führte. Sie war zu beiden Seiten mit einem breiten Geländer versehen, das auf wahrhaft schaurige Weise geschmückt war. Drei Totenschädel waren mit langen Eisennägeln auf das Holz genagelt worden und warnten eindringlich jeden, der weiter vordrang.
    Die befestigte Anlage hinter den etwa elf Fuß hohen Palisaden nahm eine beachtliche Grundfläche ein, überragte die Bäume jedoch an keiner Stelle.
    |309| Das Tor war unverschlossen. Beherzt zog Hinrik es auf und betrat einen Innenhof. Hier lagerten ein Mast, Tauwerk, Violinblöcke, Holznägel zum Befestigen von Schiffsplanken, ein Anker und eine Reihe von Werkzeugen.
    Wo der Boden vor Regen geschützt war, lag vertrockneter Kot von Hühnern, Gänsen und Enten. Mehrere Ställe reihten sich aneinander, in denen Schweine und Schafe untergebracht waren, wie er an deren Hinterlassenschaften sehen konnte.
    Die Festung war verlassen. Seit die Freibeuter hier gewesen waren, konnten Wochen oder gar Monate vergangen sein. Hinrik hielt sich nicht lange mit der Spurensuche auf, sondern betrat das aus behauenen und geglätteten Baumstämmen errichtete Gebäude. Die Tür war nicht verschlossen, sondern nur durch einen einfachen Riegel an der Außenseite gesichert. Er durchstreifte die Räume. Eine Leiter führte zum Turm hinauf, in dem es eine bemerkenswerte Vorrichtung gab. Es war ein etwa dreißig Fuß langer Mast mit einem Korb an der Spitze und mit Steigeisen versehen, der in die Höhe geschoben und in einer Halterung befestigt wurde.

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