Der Blutrichter
fieberhaftes Treiben. Das Rauschen des Wassers verriet ihr, dass die Schnigge Fahrt aufnahm. Dafür konnte es nur einen Grund geben. Die Piraten hatten ein anderes Schiff entdeckt und griffen es nun an.
Einen Augenblick später schon krachte es laut, und dann schlug ein schwerer Gegenstand auf Deck ein. Das Schiff erbebte, als wollten sich seine Planken voneinander lösen. Holz splitterte, und Männer schrien in größter Verzweiflung.
Eine Kanone! Auf dem anderen Schiff gab es eine Kanone. Eine Kugel war abgefeuert worden und hatte einen Treffer erzielt.
»Lieber Gott, lass dieses Schiff untergehen!«, flehte Greetje laut und sank auf die Knie. »Diese Männer sollen sterben, und ich will mit ihnen ertrinken!«
Von dem anderen Schiff hallten Schreie herüber. An Deck ging es immer hektischer zu. Männer rannten hin und her, und in der Takelage rumpelte es so laut, dass Greetje dachte, der Mast würde zusammenbrechen. Dann ging ein Ruck durch das Schiff, der sie zu Boden riss und gegen die Wand schleuderte. Wie betäubt blieb sie liegen. Sie vernahm den Lärm an Deck, hörte Waffen klirren und Männer stöhnen. Da wurde ihr klar, dass von dem Geschehen, von Sieg oder Niederlage, ihr eigenes Geschick abhing.
|313| Mit klopfendem Herzen lauschte sie. Es wurde still auf dem Schiff. Selbst das Rauschen und Glucksen des Wassers am Schiffsrumpf verstummte, als würde die Natur den Atem anhalten. Dann aber erhob sich wildes Geschrei. Die Schlacht war zu Ende. Greetje hatte den Eindruck, als hätte die »Möwe« gesiegt, denn nichts deutete darauf hin, dass sie unterging.
Sie kauerte sich auf die einzige Koje, die es gab, und versuchte aus den Geräuschen an Deck auf das zu schließen, was geschah. Zunächst glaubte sie, eine wilde Siegesfeier würde beginnen. Panik erfasste sie, weil sie fürchtete, dass die Männer sich in ihrer überschäumenden Freude betrinken und dann jegliche Hemmungen ihr gegenüber verlieren würden. Dann merkte sie, dass nichts auf eine Feier hindeutete. An Deck schien allerdings ein unbeschreibliches Durcheinander zu herrschen, das Greetje sich nicht erklären konnte. Sie schloss die Augen und versuchte, sich die Situation vorzustellen. Und plötzlich ging ihr auf, was die Geräusche zu bedeuten hatten.
Die Freibeuter plünderten das andere Schiff. Sie schleppten ihre Beute auf die »Möwe«, um sie im Schiffsbauch zu verstauen. Außerdem hörte Greetje ein Hämmern und Sägen. Sie schloss daraus, dass Zimmerer dabei waren, die Schäden zu beheben, die bei dem Kampf mit dem anderen Schiff entstanden waren.
Schritte näherten sich. Jemand versuchte die Tür zu öffnen, die sie von innen verriegelt hatte.
»Mach auf, dummes Ding«, forderte der Mann mit heiserer Stimme. »Oder soll ich die Tür eintreten?«
Sie rührte sich nicht. Angstvoll blickte sie auf die Tür, die in ihren Angeln bebte und zitterte, als der Mann daran rüttelte.
»Du solltest dir nicht mehr Ärger einhandeln als unbedingt nötig«, hallte es zu ihr herein. »Störtebeker mag es |314| nicht, wenn wir etwas am Schiff beschädigen. Er will dich sehen. Sofort. Also mach auf.«
»Aber ich will ihn nicht sehen!«, rief sie. »Keinen von euch. Weder Störtebeker noch sonst irgendjemanden. Lasst mich in Ruhe.«
»Ich zähle bis drei. Wenn die Tür bis dahin nicht offen ist, trete ich sie ein.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du bis drei zählen kannst«, höhnte sie in aufkommendem Zorn.
»Du hast es dir selbst zuzuschreiben!« Er zählte nicht. Er warf sich mit voller Wucht gegen die Tür, die krachend aus den Angeln flog und Greetje vor die Füße fiel. Vor ihr stand ein bärtiger Riese. Er war so groß, dass er nur gebeugt durch die Tür gehen konnte. Eine blutige Schramme zog sich quer über seine Stirn. Er schien sie nicht zu bemerken. Mit funkelnden Augen sah er sie an.
»Nun komm endlich«, befahl er. »Oder ich packe dich am Arsch und am Genick und schleife dich nach oben. Was meinst du, wie die Männer johlen, wenn ich dich wie ein Stück Schlachtvieh über Deck ziehe!«
Sie gab nach. Sie ekelte sich vor dem Riesen, und sie wollte auf keinen Fall, dass er sie berührte.
»Geh voraus«, entgegnete sie und trat auf ihn zu. Grinsend drehte er sich um und führte sie hinaus.
|315| Die Kalmarer Union
Die Zeit schien sich zu verlangsamen. Hinrik sah die Axt, die groß genug war, um damit einen Ochsen mit einem Hieb zu zerteilen, und er sah, wie sie auf ihn herabfuhr. Kühl und überlegt wich er aus, so dass
Weitere Kostenlose Bücher