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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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alte Frau an. »Wie soll ich das verstehen?«
    »Ich habe mir lange überlegt, ob ich dir helfen darf. Ich habe mich dazu entschlossen. Aber ich muss dir sagen, dass Störtebeker mehrere Verstecke hat. Eines davon liegt an der ostfriesischen Küste, irgendwo an einer Bucht, die niemals trocken fällt, so dass er jederzeit auslaufen kann, wenn Gefahr droht, und die ihm zugleich die Möglichkeit bietet, Verletzte an Land zu behandeln und Reparaturen an den Schiffen vorzunehmen. Das Land ist an der Küste und bis weit ins Landesinnere hinein von riesigen Mooren und Sümpfen bedeckt. Ein tückisches Gelände, in dem sich niemand bewegen sollte, der sich dort nicht auskennt. Der Vorteil ist, dass Störtebeker von Land her nicht angegriffen werden kann. Das Versteck könnte also an einem besonders tiefen Priel liegen oder einem Flusslauf. Ich weiß es nicht. Das musst du selbst herausfinden. Angeblich gibt es, gut versteckt hinter Bäumen und Büschen, einige Hütten oder eine Festung. Wenn du zu den Freibeutern vorstoßen willst, musst du dort auf sie warten. Kann sein, dass sie sich schon bald blicken lassen, kann sein, dass sie erst in den Wintermonaten auftauchen – oder gar nicht.«
    Das war eine lange Rede für Spööntje gewesen. Nun stand sie auf und zog sich wortlos in den Winkel zurück, in dem sie zu schlafen pflegte. Sie kroch unter ein Fell, und wenig später hörte er sie schnarchen.
    Als er sie am nächsten Tag auf Störtebeker ansprach, tat sie, als hätte sie ihn nicht gehört. Sie war nicht bereit, noch mehr von ihrem Wissen preiszugeben.
    In aller Ruhe bereitete er sich darauf vor, Spööntje zu verlassen und das Versteck Störtebekers zu suchen. Er |303| trug Vorräte für ein paar Tage zusammen und entlohnte Spööntje, indem er Holz für sie hackte. Als er schließlich sein Bündel schulterte, brach sie ihr Schweigen.
    »Noch einmal – wenn du drüben auf der anderen Seite der Elbe bist, halte dich ans Ufer, obwohl es dort beschwerlicher nicht sein könnte. Sonst gerätst du in den Sumpf, und aus dem kommst du nicht wieder heraus«, ermahnte sie ihn. »Was dann geschieht, liegt bei dir. Wenn Störtebeker dich findet, macht er dich entweder einen Kopf kürzer, weil er dich für einen Spion hält, oder er nimmt dich bei sich auf. Ein Risiko gehst du auf jeden Fall ein.«
    »In der Nähe von Cronens zu bleiben, wäre riskanter. So viel ist sicher«, erwiderte Hinrik, bedankte sich für ihre Hilfe und ging zur Stör zurück, wo sein Kahn am Ufer vertäut lag. Er wartete die Ebbe ab, um sich von ihr flussabwärts spülen zu lassen.
    Am späten Abend des nächsten Tages erreichte er die Störmündung und zog den Kahn ans Ufer. Es wäre zu gefährlich gewesen, sich nachts der Strömung der Elbe auszusetzen, die wegen zahlloser Untiefen und Sandbänke schwer berechenbar war. Tagsüber konnte er sehen, wo das Wasser schnell floss oder träge dahinzog oder wo es gar bedrohliche Wirbel und Strudel bildete.
    Am nächsten Morgen wartete er, bis die Ebbe ihren Höhepunkt überschritten hatte. Dann wagte er sich auf den Strom hinaus und ruderte auf eine der vielen Inseln zu, die mitten im Strom lagen. Ein paarmal sah es so aus, als würde es ihn in die sich weit ausdehnende Elbmündung und dann in die Nordsee hinaustragen, doch dann erreichte er die Insel und konnte eine Pause einlegen, um sich zu erholen. Dann arbeitete er sich durch flaches, ruhiges Wasser vor, um zur nächsten Insel hinüberzusetzen. Auf diese Weise durchquerte er die tiefsten Stellen |304| der Elbe, wo das Wasser mit unwiderstehlicher Gewalt dahinschoss. Er nutzte die wechselnde Tide und erreichte das südliche Ufer vor Einbruch der Dunkelheit. Wiederum zog er das Boot an Land, vertäute und sicherte es. Spööntje hatte ihn vor dem Elbufer und dem Hinterland gewarnt. Einen Versuch wollte er dennoch wagen. Der Boden war weich und gab unter seinen Füßen nach, dann aber hatte er den Eindruck, als könnte er seinen Weg ungefährdet fortsetzen. Er ließ sich täuschen, verlor plötzlich den Halt und versank bis zur Hüfte im Morast.
     
    Die beiden Männer unterhielten sich so derb, dass ihr das Blut ins Gesicht stieg. Greetje hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, doch sie fürchtete, die beiden damit noch zu reizen. Nie zuvor war sie Männern begegnet, die sich in so unanständiger Weise über Frauen ausließen.
    Mit versteinertem Antlitz richtete sie sich auf. Sollten sie reden! Innerlich aber bebte sie, Die Männer ruderten auf die

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