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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Erst spät am Nachmittag wachte er wieder auf, als die Ebbe bereits eingesetzt hatte. Er aß ein paar Äpfel, die er gefunden hatte, stieg ins Boot und kehrte auf den Strom zurück.
    |297| Er war ein gut ausgebildeter Kämpfer, aber auf einem Strom wie der Elbe hatte er sich noch nicht bewegt. In nautischen Dingen unerfahren, hatte er den Strom unterschätzt. Er war davon ausgegangen, dass die Strömung ihn ziemlich schnell in Richtung Nordsee bringen würde. Jetzt erkannte er, dass die Bedingungen auf der Elbe weitaus schwieriger waren als angenommen. Bei Ebbe fiel das Wasser, dann kenterte die Tide, und das Wasser lief wieder auf. Nur bei ablaufendem Wasser kam er seinem Ziel näher. Sobald die Flut einsetzte, musste er eine der vielen Inseln oder einen der Seitenarme aufsuchen, das Boot vertäuen und warten, bis er seinen Weg fortsetzen konnte.
    So näherte er sich der Störmündung erst vier Tage nach seiner Flucht aus Hamburg. Er zog den Kahn das Ufer hoch, um zu verhindern, dass er weggeschwemmt wurde, und arbeitete sich am Fluss entlang. Es war ein ebenso beschwerlicher wie gefährlicher Weg, da sich am Ufer oft Sumpfflächen erstreckten, die ihn zu weiten Umwegen zwangen. Schließlich aber kam die Stadt an der Störschleife in Sicht. Er wandte sich nach Osten und drang in einen Mischwald ein, um schmalen, verschlungenen Wegen zu folgen, bis jene Kate vor ihm auftauchte, die ihm so vertraut war.
    Er erinnerte sich daran, dass Spööntje einmal gesagt hatte, dass die Besatzungen einiger Schiffe an der Stör das Tageslicht scheuten. Er meinte, den Klang ihrer Stimme zu hören, als sie hinzufügte: »Jedenfalls lassen die Verletzungen darauf schließen.«
    Damals hatte er sie nicht beachtet. Mittlerweile aber war er hellhörig geworden. Woher wusste sie von diesen Verletzungen, wenn sie diese nicht selbst behandelt hatte?
    Er hätte damals schon daraufkommen können. Spööntje hatte Verbindungen zu Störtebeker und den Vitalienbrüdern |298| . Aus diesem Grund ging er zu ihr. Wenn ihm jemand helfen konnte, die Freibeuter zu finden, dann die alte Heilerin.
    Spööntje kam hinter der Kate hervor, wo sie einen Eimer Wasser geholt hatte. Als sie ihn sah, war sie wenig überrascht. Lächelnd musterte sie ihn, als wäre irgendetwas an ihm nicht in Ordnung.
    »Ich dachte, sie hätten dich einen Kopf kürzer gemacht. Aber wie ich sehe, sitzt der Kopf auf deinem Hals. Oder muss ich ihn noch kleben?«
    Hinrik fuhr sich unbehaglich mit der Hand über den Nacken. »Du wirst es nicht glauben, aber ich war kurz davor. Greetje kam gerade noch rechtzeitig. Sie schrie, und ich habe mich zur Seite fallen lassen. Das Schwert strich an mir vorbei. Es war denkbar knapp. Danke, dass du ihr geholfen hast. Leider ist alles ganz anders weitergegangen. Greetje ist verschwunden. Ich habe keine Spur von ihr. Ich weiß nur, dass sie auf ein Schiff gebracht wurde, das abgelegt hat.«
    Spööntje reichte ihm schweigend den Wassereimer. Er nahm ihn und trug ihn in die Kate.
    »Und weshalb kommst du zu mir?«, fragte die alte Heilerin. Sie spießte ein Rebhuhn auf, das sie vorbereitet hatte, und hängte den Spieß in ein Gestell vor dem Feuer. Hinrik übernahm es, das Fleisch zu garen. Viel musste er nicht tun, da das Fleisch Hitze von der Seite bekam und nur bei großer Unachtsamkeit verbrennen konnte. »Von Cronen ist hinter dir her. Ihm passt nicht, dass du dem Henker entkommen bist. Jetzt weißt du nicht mehr ein noch aus.«
    Vergeblich wartete er darauf, dass Spööntje ihm einen Ausweg bot. Sie aber wich aus, sprach von dem Rebhuhn, das allmählich garte, beklagte sich darüber, dass es in diesem Jahr so wenig Niederwild gab, und kam dann auf Graf |299| Pflupfennig zu sprechen, der ohne Hoffnung auf Heilung im Bett lag und gerade mal seinen Kopf und ein paar Finger bewegen konnte und der Befehle erteilte, die niemand ausführte.
    »Eigentlich straft Gott die kleinen Sünden sofort«, scherzte sie mit einem schadenfrohen Glucksen. »Bei ihm hat er eine Ausnahme gemacht und gleich gehandelt. Seitdem führen die Frauen das Regiment auf dem Hof des Grafen. Manchmal gibt es doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt.«
    Er ließ sie reden und wartete geduldig auf die Möglichkeit, zu dem Thema zu kommen, das ihn interessierte. Schließlich fragte er: »Was hast du mit dem Grafen zu tun?«
    »Gar nichts«, antwortete sie überraschend schroff und abweisend, als hätte er sie beleidigt. »Er lässt sich von den Quacksalbern aus Itzehoe behandeln.

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