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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Holzverschläge vorsichtig auf. Sie knarrten leise in den Scharnieren, und wieder fürchtete er, dass die Wachen aufmerksam werden könnten. Das Vieh war unruhig. Pferde, Kühe und Schweine lagen nicht auf dem Boden, wie es zu dieser späten Stunde normal war, sondern standen nervös in ihren Verschlägen. Erstaunlich ruhig blieben dagegen die Gänse und die Hühner, die weit von ihm entfernt im Stroh lagen und sich nicht rührten.
    Hinrik glitt durch das Fenster in den Stall. Besänftigend strich er einer Kuh mit den Händen über den Rücken und schob sich an ihr vorbei, bis er durch das Gebälk hindurch die Kammer sehen konnte, in der er sich aufzuhalten pflegte, wenn er im Haus war. Jetzt war sie leer. Er schlich sich heran, wartete minutenlang und horchte, bis er ein Rumpeln und Poltern in der Vorratskammer vernahm. Durch die offene Tür, die dorthin führte, schimmerte Licht. Offenbar suchten die Wachen nach ess- und trinkbarer Beute.
    Hinrik nutzte die Gelegenheit und stieg eine schmale |36| Treppe ins Obergeschoss hinauf. Er tastete sich durch die Dunkelheit, bis er einen Feuerstein, ein wenig fette Wolle und eine Kerze fand. Mit einiger Mühe entzündete er die Wolle und mit ihrer Hilfe den Kerzendocht. Er schirmte das Licht mit der Hand ab, ging einige Schritte in das Zimmer hinein, das ihm bis zur vergangenen Nacht als Wohn- und Schlafkammer gedient hatte, und blieb dann bestürzt stehen.
    Die Wachen hatten die kostbaren Bilder von den Wänden gerissen und achtlos auf den Boden geworfen. Es waren Gemälde von namhaften Künstlern. Äußerst behutsam hatte er sie vor Jahren von weit her auf seinen Hof gebracht, um sich an ihnen zu erfreuen. Jetzt waren sie zerstört, von Fußtritten zerfetzt. Die schwere, mit kunstvollen Schnitzereien versehene Truhe war aufgerissen und geplündert worden. Kleidungsstücke und die Seiten einer im Kloster gefertigten Bibel lagen auf dem Boden.
    Doch nicht das allein schockierte ihn.
    Zwei Fußbodenbohlen waren aufgerissen worden. Die Wachen hatten das Versteck gefunden, in dem er seine Ersparnisse aufbewahrt hatte. Von den Münzen, die darin gelegen hatten, war nicht mehr eine einzige vorhanden. Er sank auf die Knie, und dabei war ihm, als würden die vielen Wunden wieder aufbrechen, die er in dieser Nacht davongetragen hatte. Sein Herz krampfte sich zusammen.
    Unten im Haus wurde es laut. Die Tür zur Vorratskammer bewegte sich knarrend in ihren Angeln. Die Schritte der Wachen dagegen waren kaum zu hören. Hinrik vernahm die Stimmen zweier Männer und das Klirren der Waffen, die sie mit sich führten.
    Ohne Eile öffnete Hinrik einen der Schränke und nahm einen Mantel mit Kapuze und einen Schal heraus. Dergestalt gegen die Kälte gerüstet, schlich er die Treppe hinunter. Er kannte jede einzelne Stufe und wusste, wohin |37| er seine Füße setzen musste, damit das Holz nicht knarrte. Glücklicherweise verursachten die Wachen einen derartigen Lärm, dass sie ihn nicht hörten. Ihr Lachen und ihre derben Scherze verrieten ihm, dass sie seinen Biervorrat aufgestöbert hatten und sich nun freudig bedienten.
    »Ein Ritter, der arbeitet wie ein Bauer«, hörte er einen der beiden Männer sagen. »Er hätte wissen müssen, dass der Adel so etwas nicht duldet. Er gehört zum Wehrstand, nicht zum Nährstand!«
    In der Tat! Er hatte schwer gearbeitet, um den heruntergewirtschafteten Hof wieder hochzubringen. Dabei war ihm klar gewesen, dass ein Adliger so etwas nicht tat und dass er damit gegen alle Konventionen verstieß. Adlige verpachteten ihr Land und ließen andere für sich arbeiten.
    »Verflucht, irgendwo muss es sein«, rief eine andere Stimme.
    Sie suchten sein Geld. Sie wollten, dass er arm war wie ein Landarbeiter.
    Er eilte an den Verschlägen für das Vieh vorbei, stieg zum Fenster hinaus und rannte über den dunklen Hof zur Scheune hinüber, wo in einem weiteren Versteck einige Münzen verborgen waren. Auf keinen Fall wollte er den Hof völlig mittellos verlassen.
    Die große Doppeltür der Scheune stand offen. Dennoch war es drinnen so dunkel, dass er kaum etwas erkennen konnte. Er hörte Stroh rascheln.
    »Wer ist da?«, fragte er leise. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, und er machte eine Gestalt aus, die gleich neben dem Eingang auf dem Boden kauerte, wo der edle Tuz seinen Platz gehabt hatte.
    »Herr, seid Ihr es? Ich bin’s, Hans.« Der Knecht stand auf und kam zu ihm. »Es ist so furchtbar. Tuz ist tot.«
    |38| »Woher weißt du

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