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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Derartige Warenmengen hatte sie nie zuvor gesehen, nicht einmal auf dem Herbstmarkt von Itzehoe, der Käufer von weither anlockte |355| . Auch vom Hafen, in dem mehrere Koggen angelegt hatten, wurden Waren gebracht.
    Als sie Bene entdeckte, die sich gerade strahlend vor Freude ein farbenprächtiges Tuch um die Schultern legte, blieb sie stehen. Das Mädchen bemerkte sie und eilte auf sie zu.
    »Wie findest du das Tuch?«, fragte sie voller Begeisterung. »Ist es nicht wunderschön?«
    Für Greetjes Geschmack war es gar zu bunt, doch sie verdarb Bene die Freude nicht, lobte ihren Einkauf und fügte artig ein Kompliment hinzu.
    Das Hausmädchen drehte sich fröhlich im Kreise, um sich und das Tuch von allen Seiten zu zeigen. »Ist es nicht wunderbar, dass die Freibeuter alles zu uns bringen und billig verkaufen? So etwas könnte ich mir nie leisten, wenn ich bezahlen müsste, was die Händler sonst verlangen.«
    Greetje fiel es wie Schuppen von den Augen. Sie begriff. Irgendwo musste die Kaperware der Freibeuter ja bleiben. Störtebeker und seine Likedeeler überschwemmten damit den Markt von Verden und wahrscheinlich die Märkte anderer Städte. Sicherlich setzten sie auch in Itzehoe einen Teil ihrer Beute ab. In den Städten waren sie hochwillkommen. Niemand dachte daran, ihre Schiffe anzugreifen. Im Gegenteil. Allem Anschein nach gewährte Verden den Freibeutern sogar Schutz.
    »Was ist mit dir?«, fragte Bene. »Willst du nichts kaufen?« Sie hob ihr Gesicht und blinzelte in die Sonne. »Wieso bist du eigentlich hier? Hast du nichts im Haus zu tun? Doktor Birger will sicherlich zu Mittag essen. Also beeile dich lieber, damit es keinen Ärger gibt.«
    »Da hast du recht«, erwiderte Greetje ruhig und machte sich auf den Nachhauseweg. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie sich so lange hatte aufhalten lassen, während |356| er vielleicht auf sie wartete. Tatsächlich sah er verärgert aus, als sie das Haus betrat.
    »So ist das also«, sagte er zornig. »Ich brauche Eure Hilfe, aber Ihr geht Eurem Vergnügen nach und lauft in der Stadt herum. Was aus den Kranken wird, interessiert Euch nicht.«
    »Was kann ich tun?« Sein Vorwurf schien an ihr abzugleiten.
    Ihre Gelassenheit reizte ihn.
    »Eure Pflicht!«, fuhr er sie an. Sein Gesicht war verzerrt, und sie befürchtete, er werde einen Wutanfall bekommen. Doch er griff sich mit der rechten Hand an den linken Arm und krümmte sich zugleich unter Schmerzen. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht, und aus seinem offenen Mund tropfte der Speichel.
    »Was ist mit Euch?«, rief sie erschrocken, rückte hastig einen Hocker heran, so dass er sich setzen konnte.
    »Das Herz«, ächzte er, mühsam nach Atem ringend. »Wasser!«
    Sie reichte ihm einen Becher, und er trank in kleinen Schlucken.
    »Der Arzt hilft sich selbst zuletzt«, tadelte sie ihn. »Ihr müsst etwas tun. Ich werde Euch etwas Arnika geben.«
    »Nichts da!«, wehrte er ab. »Es geht vorüber.« Er erhob sich und schlurfte ohne ein weiteres Wort hinaus. Nach einer Weile hörte sie, wie er sich die Treppe hinaufkämpfte und oben in seiner Kammer verschwand. Es dauerte einige Zeit, bis sie sein ruhiges, gleichmäßiges Schnarchen vernahm.
    Da sie in der Küche nichts mehr zu tun hatte, ging sie in die Praxis, um ein wenig aufzuräumen. Sie war fast fertig mit ihrer Arbeit, als eine alte Frau hereinkam. Ein stark gekrümmter Rücken, der Witwenbuckel, zwang sie, tief gebeugt zu gehen. Sie litt unter einem krampfartigen |357| Husten. Greetje gab ihr eine Mixtur aus verschiedenen Kräutern wie Feldrittersporn, Schöllkraut, Holunder und gestampftem Apfel.
    »Was bekommt Ihr dafür?«, fragte die Alte. »Ich bin arm. Sehr arm.«
    »Das müsst Ihr mit dem Doktor besprechen«, antwortete Greetje. »Damit habe ich nichts zu tun.«
    Einer jungen Frau, die von Insektenstichen geplagt war, gab sie eine Mischung aus Meerrettich, Spitzwegerich und Zwiebel und einer anderen, die über heftige Bauchschmerzen klagte, Kamille, Kümmel und Nelkenwurz. Greetje war froh, dass keine wirklich schweren Fälle kamen.
    Sie machte sich Sorgen. Der Herzanfall des Arztes war ein Alarmzeichen, das nicht übersehen werden durfte. Vermutlich wusste Jordan Birger seit Wochen oder Monaten, dass er krank war, und er verzweifelte darüber, dass er sich nicht selbst helfen konnte. Vielleicht war er deshalb so mürrisch und drohte so oft in Melancholie zu versinken. In seinem Innersten war er schwach und empfindlich. Sie beschloss, sich von seinem

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