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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Kreuz.
    »Papa, was hat das zu bedeuten?«, fragte sie. »Ist das nicht das Zeichen eines geheimen Femegerichts?«
    Ihr Vater schob die Messer zur Seite und griff nach einer Schale, um Kräuter mit einem Mörser darin zu zerstampfen. »Dumme Gerüchte. Nichts weiter«, brummte er und vertiefte sich in seine Arbeit. Wenn er so abweisend war, dann wusste sie, dass es sinnlos war, ihn noch länger zu drängen. Er würde nicht antworten, und so gab sie sich mit seiner Auskunft zufrieden. Eine Woche später fand man in den Wäldern um Itzehoe zwei Männer, die an einer hohen Eiche erhängt worden waren. In die Rinde des Baumes hatte jemand ein Kreuz geschnitten. Es hieß, dass sich der innere Zirkel der Feme mit geheimen Erkennungszeichen zu verständigen wusste. Greetje war sicher, dass die gekreuzten Messer dazugehörten. Ebenso die beiläufig dahingesprochenen Buchstaben: »SSGG«. Irgendwo hatte sie aufgeschnappt, dass diese Buchstaben für »Strick, Stein, Gras, Grein« standen, doch das half ihr nicht weiter, weil sie nicht wusste, was »Strick, Stein, Gras, Grein« bedeuteten.
    |353| Jetzt war die Erinnerung wieder da.
    Es gab kaum Wissen über die geheimen Femegerichte, die auch Freigerichte oder Freidinge genannt wurden. Es hieß, dass sie sich überwiegend aus vier Richtern zusammensetzten. Als Vorsitzender fungierte der so genannte Freigraf. Ihm standen die Schöppen oder Schöffen und ein Gerichtsschreiber zur Seite. Der Freigraf wählte als Beisitzer und Schreiber »Schildbürtige«, also Adlige aus. Nur wenn sich nicht genügend Adlige finden wollten, konnte ein Nichtadliger hinzugenommen werden. Entscheiden durfte er nicht. Dieses Recht beanspruchten die Adligen allein für sich. War man ernannt, wurde man zum »Wissenden«, indem man in die Geheimnisse des Femegerichts eingeweiht wurde. Es hieß, dass die Gewählten einen Eid leisten mussten, bei dem sie sich zum absoluten Schweigen über alle Geheimnisse des Femegerichts verpflichteten, und dass sie sich beim Bruch ihres Eides den furchtbarsten Strafen unterwarfen.
    Erst als Greetje sich ein gutes Stück entfernt hatte, konnte sie wieder durchatmen. Die Furcht vor dem Femegericht aber blieb. Es war allgemein bekannt, dass allein Beschuldigungen manchen braven Bürger vor ein Femegericht gebracht hatten. Handelte es sich dabei um ein offenes oder »offenbares« Gericht, waren Zuschauer zugelassen, und es konnten jederzeit Zeugen hinzugerufen werden. Vor einem solchen Gericht blieb dem Angeklagten die Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen – mit welchen Mitteln auch immer. Vor einem heimlichen Femegericht waren seine Chancen weitaus geringer.
    Sie musste an Bene denken und an die eigene Versuchung, das Geheimnis des oberen Stockwerks im Arzthaus zu lösen. Unwillkürlich fragte sie sich, ob es ein strafwürdiges Vergehen wäre, wenn sie die Treppe hinaufstieg, um nachzusehen, was sich oben verbarg. Möglicherweise |354| wurde ihr ein solches Verhalten als Verrat ausgelegt, und das konnte sie – die Fremde in Verden – vor ein Femegericht bringen.
    Dann kam ihr plötzlich ein schrecklicher Gedanke, und sie blieb stehen. Sie konnte nicht ausschließen, dass Jordan Birger gegen die christlichen Gebote verstieß und die oberen Stockwerke nur deshalb vor ihr und vor allen anderen verschloss, weil er in den oberen Räumen heidnischen Bräuchen nachging. Dann wäre er ein Fall für das heimliche Femegericht.
    An diesem Tag lief sie lange durch die Gassen der Stadt, ohne ihre Gedanken ordnen zu können. Erst spät gelang es ihr, sich zu beruhigen und die Furcht vor dem Femegericht zu verdrängen. Sie kannte niemanden außer Jordan Birger und die einfältige Bene, und das bedeutete, dass sie gerade diesen beiden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war.
    Am liebsten wäre sie weggelaufen. Aber es gab keinen Ausweg. Nach Hamburg konnte sie nicht zurückkehren. Zu Störtebeker und den Likedeelern konnte sie ebenso wenig gehen. Sie wusste ja nicht einmal, ob diese überhaupt noch dort waren, wo sie an Land gesetzt worden war. Sie hatte keine Wahl. Sie musste in Verden bleiben.
    Sie beschloss, so vorsichtig wie nur möglich zu sein und Bene lieber einen kleinen Triumph zu gönnen, als sie sich zur Feindin zu machen. Sie wollte sie nicht unnötig herausfordern.
    Als sie ein wenig Wasser am Stadtbrunnen trank, fiel ihr auf, wie sehr sich die Straßen der Stadt belebt hatten. Überall waren Verkaufsstände mit Bergen von Waren aller Art aufgebaut worden. Sie staunte.

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