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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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für ihn allein. Hätte er alles gegessen, hätte er fülliger sein müssen, als er war. So kam Greetje zu dem Schluss, dass es oben im Haus noch jemanden gab, mit dem er seine Mahlzeiten teilte.
    Als sie an einem Spätnachmittag vom Einkaufen zurückkehrte, verließ Jordan Birger gerade das Haus. Lustlos teilte er ihr mit, dass er zu einem kranken Kind gerufen worden sei. »Ich habe heute wirklich schon genug getan«, sagte er, »aber es muss wohl sein. Es kann dauern, bis ich zurück bin. Das Haus liegt vor der Stadt. Ich werde einen Wagen nehmen und mich fahren lassen.«
    Kaum hatte sie das Haus betreten, als sie ein eigenartiges Getrappel im oberen Stockwerk vernahm, und dieses Mal war sie sicher, dass sie Stimmen hörte. Sie ging in die Küche. Bene war nicht da. Sie hatte Brot, Wurst und Schmalz hingestellt und das Haus dann verlassen. Das tat sie öfter um diese Tageszeit. Danach kehrte sie so gut wie nie zurück.
    Die Versuchung lockte.
    Greetje schlug das Herz bis zum Halse. Sie sah zu den Deckenbalken hinauf. Die Bohlen knarrten leise, und eine Tür fiel ins Schloss. Es war jemand außer ihr im Haus.
    Vielleicht tat sie Jordan Birger sogar einen Gefallen, wenn sie klärte, was im Haus geschah. Es war nicht auszuschließen, dass seine gesundheitlichen Probleme in eben dieser merkwürdigen Erscheinung begründet lagen. Vielleicht könnte sie ihm helfen.
    Die Stufen knarrten. Unerträglich laut, wie ihr schien. |361| Immer wieder blieb sie stehen und horchte. Oben war es still. Sie hörte nichts mehr. Es war, als hätte das Unheimliche das Haus verlassen, um wie ein Vogel oder eine Fledermaus – lautlos davonzuflattern.
    Eine innere Stimme riet Greetje, umzukehren und sich den Aufgaben zu widmen, die Birger ihr auftrug. Eine innere Unruhe aber, die mehr war als Neugier, trieb sie voran, ließ ihr Herz höher schlagen und machte ihr Angst. Sie meinte zu spüren, dass da etwas war am Ende der Treppe, was buchstäblich auf sie lauerte, wie eine Spinne im Netz, die trotz aller Gier geduldig auf ihr Opfer wartete.
    Schritte eilten wieder durch den Raum. Ein eigenartiger, unerklärlicher Rhythmus entstand. Das waren mehr als zwei Füße. Was immer sich in dem Raum aufhielt, es entfernte sich von der Tür.
    Sie hielt den Atem an und schloss für einen Moment die Augen, um sich zu beruhigen. Dann hob sie den Fuß und setzte ihn behutsam auf die nächste Stufe. Jetzt erst bemerkte sie, dass die Tür am Ende der Treppe einen Spalt breit offen stand.
    Vorsichtig, von Schauern der Furcht durchdrungen, schob sie ihr Gesicht an den Spalt heran, bis sie endlich einen Blick ins Zimmer werfen konnte.
    Im gleichen Augenblick schien eine eisenharte Hand ihren Hals zu packen und sie zu ersticken. Was sie sah, war so grauenvoll, dass sie sich mit einem Schrei von aller Nervenlast befreien wollte. Doch sie brachte keinen Laut hervor. Der Anblick jenes monströsen Wesens, das sich durch den Raum bewegte, war mehr, als sie ertragen konnte. Von Grauen und namenloser Angst geschüttelt hastete sie die Treppe hinunter und flüchtete auf die Straße hinaus. Aber auch jetzt vermochte sie nicht zu schreien. Ein Strom von Tränen rann über ihre bebenden Wangen.

|362| Der Sperberhof
    Mit einem schnellen Griff entwand Fieten Krai ihm den Dolch. Ein leichter Stoß mit dem Knie genügte, um Hinrik zu Boden zu werfen. Er war überraschend schnell und geschickt.
    Hinrik schlug dumpf auf, versuchte sich aufzurichten, schaffte es jedoch nicht, gab auf und streckte sich seufzend aus.
    »Wer mit einem Störtebeker und einem Gödeke Michels saufen will, muss ein harter Brocken sein«, lachte der Gaukler. »Ihr seid es offensichtlich nicht. Jedenfalls nicht, was diese Art von Wettstreit betrifft.«
    »Verreck«, stöhnte Hinrik, schloss die Augen, entspannte sich und kämpfte gegen die Übelkeit und den Schwindel an, die seinen Körper noch immer beherrschten. Als er sich ein wenig erholt hatte, erhob er sich, schleppte sich zur Reling und ließ sich in den Fluss fallen. Das Wasser war eiskalt, aber es erfrischte ihn.
    Als er hinaufblickte, sah er die Likedeeler an der Reling stehen. Sichtlich überrascht beobachteten sie ihn.
    »Ihr könnt schwimmen?«, rief einer von ihnen.
    Gödeke Michels drängte ihn zur Seite. Ihm war anzusehen, dass auch er unter den Nachwirkungen zu leiden hatte. »Der Teufel soll mich holen«, sagte er verständnislos den Kopf schüttelnd. »Ihr seid ein Dummkopf. Seeleute können nicht schwimmen. Wenn ihr Kahn untergeht,

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