Der Blutrichter
ablehnenden Wesen nicht beeindrucken zu lassen und ihm zur Hand zu gehen, wann immer dies möglich war.
Als er am nächsten Tag herunterkam, hatte er sich ein wenig erholt. Sie versorgte ihn mit einem kleinen Frühstück, und als er gegessen hatte, berichtete sie ihm von den Patienten, denen sie am vergangenen Tag die von ihr zusammengestellten Rezepte gegeben hatte. Er hörte schweigend zu, äußerte sich nicht zu den gewählten Kräutern, tadelte oder lobte sie nicht. Er trank seinen Tee, ließ sich einen weiteren Becher davon geben und verschwand in seiner Praxis.
Später rief er sie zu sich, weil drei Handwerker in die Praxis getragen wurden, deren Baugerüst zusammengestürzt |358| war. Sie hatten sich Arme und Beine gebrochen. Es galt, die Brüche zu richten und die Wunden zu verbinden. Sie half ihm dabei, wie sie es bei ihrem Vater gelernt hatte. Jordan Birger blickte sie einige Male erstaunt an, weil er nicht erwartet hatte, dass sie diese schwierige Arbeit so gut beherrschte und dass sie ihm eine so wichtige Hilfe sein konnte.
Von diesem Tag an forderte er sie Tag für Tag auf, ihn bei seinen Krankenbesuchen zu begleiten. Er besprach sich mit ihr, welche Kräuter er am besten einsetzen sollte. Eisenkraut, Linde oder Schnittlauch bei Nierenleiden etwa hatte er noch nie verabreicht. Er zeigte sich erstaunlich zugänglich und ließ sich gern überzeugen.
Er wurde ein wenig freundlicher, verfiel allerdings immer wieder in Melancholie oder Zustände tiefer Niedergeschlagenheit. Dann war er kaum ansprechbar. Greetje entwickelte ein feines Gespür für ihn und wusste recht bald, wann es besser war, einen weiten Bogen um ihn zu machen und ihn in Ruhe zu lassen.
Tag für Tag stieg er die Treppe hinauf, verriegelte sorgfältig eine Zwischentür und ging unruhig auf und ab. Manchmal, wenn es besonders still war im Haus, meinte sie dünne, helle Stimmen zu vernehmen. Sicher war sie sich nicht, und es war gerade diese Ungewissheit, die ihre Neugier anstachelte. Nur zu gern hätte sie um das Geheimnis gewusst. Sie haderte mich sich, weil sie sich immer wieder damit befasste.
Die Tage vergingen, der Herbst zog herauf, es wurde stiller in Verden, bald kamen die ersten Frostnächte, und schließlich fiel Schnee. Immer wieder liefen die Schiffe der Freibeuter ein und brachten Waren mit, die sie in den Städten und Dörfern Frieslands verkaufen wollten. Sie machten keinen Hehl daraus, dass die meisten von ihnen auf der Insel Helgoland überwinterten, wo sie wohlgelitten |359| waren und alles einlagerten, was sich noch nicht hatte versilbern lassen. Dabei wurde immer deutlicher, dass Störtebeker und die anderen Kapitäne sich in Friesland und auf Helgoland absolut sicher fühlen konnten. Weil sie die Bevölkerung mit besonders preiswerten Gütern versorgten, genossen sie den Schutz der Stadträte und Bürgermeister. Nicht ein einziges Mal tauchte eine Kogge der Hanse auf. Auch Landsknechte ließen sich nicht blicken, von denen es hieß, dass sie ihre Körper und ihre Seelen an die Mächtigen verkauften, um in deren Namen gegen alle zu kämpfen, die sich erwehren wollten.
Keiner der Verdener hatte jemals einen dieser Landsknechte gesehen, die angeblich besonders bunt gekleidet waren und zu denen die verwegensten Männer des Landes gehörten. Wollte man den Gerüchten glauben, die hier und da aufkamen, war es auf jeden Fall besser, ihnen aus dem Weg zu gehen.
Greetje war in Hamburg einige Male Landsknechten begegnet, hatte sie allerdings nie besonders beachtet. Sie wusste jedoch, dass die Männer zumeist dort eingesetzt wurden, wo es galt, den Willen der Stadt gegen den Widerstand der Ärmeren durchzusetzen, und dass mit diesen Männern nicht gut Kirschen essen war.
Als in Verden die Lebensmittel knapp wurden, weil die zuführenden Wege nach heftigen Regenfällen unpassierbar geworden waren, erschien überraschend eine Kogge mit einer weißen Flagge und einem schwarzen Stierkopf darauf. Die Freibeuter luden Heringsfässer vom Schiff, richteten beste Grüße von Störtebeker aus und teilten der jubelnden Bevölkerung mit, sie seien ein Geschenk des Kaperfahrers.
In den Wintermonaten hatte Jordan Birger mehrere |360| Herzanfälle, die jedoch glimpflich verliefen. Behutsam versuchte Greetje, ihm zu helfen, und nach und nach ging es dem Arzt besser.
Ansonsten änderte sich nichts. Tag für Tag stieg er mit Speisen und Getränken die Treppe hinauf, um sich einzuschließen. Was er mitnahm, war auf jeden Fall zu viel
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