Der Blutrichter
Boot oder Floß nicht erreichen konnte.
Er versuchte gar nicht erst, den Kahn zu finden, den er weiter flussabwärts im Schilf versteckt hatte. Er ging davon aus, dass die Männer von der Kogge ihn entweder zerstört oder mitgenommen hatten. Störtebeker zog nun flussaufwärts, bis sie einen Mischwald erreichten. Die Freibeuter fällten einige Fichten, schälten die Stämme und fügten sie zu einem Floß zusammen. Sie ließen sich Zeit, und sie arbeiteten sehr sorgfältig, bis nach anderthalb Tagen ein Gefährt zur Verfügung stand, das ihnen ausreichend Sicherheit bot. Sie zurrten die Kisten darauf fest, und dann führten sie das Floß mit bemerkenswerter Sicherheit auf den Strom hinaus. Als erfahrene Seeleute nutzten sie geschickt jene Stellen aus, an denen die Strömung besonders schwach war. Ohne allzu großen Kraftaufwand ließen sie das Floß von Insel zu Insel treiben, bis sie endlich den schmalen Hauptstrom erreichten. Sie warteten, bis die Tide kippte, und setzten dann rasch und ohne Komplikationen über.
Hinrik staunte. Ihm hatte die Überquerung der Elbe weitaus mehr Schwierigkeiten bereitet, denn er kannte sich mit den Tücken der Strömung nicht so gut aus wie diese Seeleute.
Sie lenkten das Floß in die Stör hinein und ließen sich ein beträchtliches Stück von der Strömung tragen, um |369| schließlich in einer Flussbiegung anzulegen und den Weg zu Fuß fortzusetzen. Störtebeker stieß das Floß vom Ufer ab und ließ es treiben. Früher oder später würde es von der Ebbe in die Elbe und von dort in die Nordsee hinausgetragen werden.
Nur selten einmal sprachen die Männer miteinander. Fieten Krai war der Einzige, der sich zuweilen äußerte. Manchmal stimmte er ein Spottlied an, das auf die Hanse gemünzt war. Die Freibeuter belohnten ihn mit ihrem Gelächter. Hinrik beobachtete ihn, und wenn er über die Scherze des Gauklers lachte, dann nicht so unbeschwert wie die Likedeeler. Störtebeker betrachtete Fieten Kai als seinen Freund, Hinrik aber war nicht sicher, ob man ihm wirklich vertrauen konnte. Ihm ging nicht aus dem Sinn, dass er Fieten Krai im Gespräch mit dem Ratsherrn Wilham von Cronen gesehen hatte und dass er kurz darauf verhaftet worden war. Mittlerweile schien sicher zu sein, dass nicht der Gaukler dafür verantwortlich war, sondern Gräfin Magdalena, die Tochter Pflupfennigs. Überzeugende Beweise aber gab es weder für seine Unschuld noch für ihre Schuld.
Als sich der Abend herabsenkte, näherte sich die Gruppe der Stadt Itzehoe, nun bog Störtebeker nach Osten ab und drang in einen Wald ein. Als Hinrik ihn erstaunt ansah, lächelte er, schwieg sich jedoch auch weiterhin über sein Ziel aus. Er folgte einem stark gewundenen Pfad bis hin zu einer Lichtung, auf der eine alte Kate stand. Eine kleine, gebeugte Frau trat heraus. Das schlohweiße Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Scherzhaft drohend hob sie einen knorrigen Stock.
»Wehe, du hast es vergessen, Störtebeker«, rief sie mit heiserer Stimme. »Du Hurensohn schuldest mir einen guten Rotwein. Der Teufel soll dich holen, wenn du nicht bald damit überkommst.«
|370| »Spööntje«, lachte er. »Das nenne ich einen Willkommensgruß. Lass dich umarmen, altes Mädchen.«
»Hüte dich!«, wehrte sie ihn ab. »Ich habe einen guten Ruf zu verteidigen.«
Sie blickten sich lachend an, zwei Menschen, die sich mochten und die miteinander vertraut waren. Dann umarmten sie sich.
Hinrik setzte sich auf einen Baumstumpf, stützte seinen Kopf in die Hände und traute kaum seinen Augen und Ohren. Dass Spööntje viel von Störtebeker wusste, dass sie sogar die Verletzungen seiner Männer behandelt hatte, war ihm bekannt. Er hatte jedoch nicht geahnt, dass sie so mit ihm vertraut war, wie sich nun zeigte.
Grinsend blickte die alte Frau ihn an. Es schien ihr ein geradezu teuflisches Vergnügen zu bereiten, dass sie ihn hinters Licht geführt hatte.
»Du hast ihn also tatsächlich gefunden, Ritter Hinrik«, stellte sie fest. »Und du hast einige Mühen auf dich genommen. Richtig?«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte er.
»Und dabei hättest du nur hier auf ihn zu warten brauchen«, kicherte sie. »Na ja, manche Dinge wirst du nie begreifen.«
Erstaunlicherweise war sie gut auf den Besuch Störtebekers und seiner Begleiter vorbereitet. Sie hatte mehrere Rebhühner und Fasane gefangen, die es nun zu garen galt. Dazu hatte sie mehrere Flaschen Wein.
»Ich hätte gern Bier beschafft«, bedauerte sie, »aber es hätte die
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