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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Hinrik, das Feuer gelegt hatte, um sich für den Verlust zu rächen. Als er den treuen Helfer umarmte, kamen auch die anderen zu ihm, um sich von ihm zu verabschieden. Die meisten hatten Tränen in den Augen, und immer wieder wurde die Frage an ihn gerichtet, was nun werden solle.
    »Ich kann euch nur einen Rat geben«, sagte Hinrik. »Auf dem Lande habt ihr keine Chance. Geht in die Stadt. Geht nach Hamburg. Dort ist das Leben sicherlich nicht leichter, möglicherweise sogar noch schwerer, aber niemand wird auf den Gedanken kommen, euch die Freiheit zu nehmen.«
    Er winkte den Männern und Frauen kurz zu und verließ den Hof über die Brücke. Aus der Dunkelheit schoss sein Hund auf ihn zu und sprang an ihm hoch. Hinrik drückte ihn an sich und kraulte ihm den Hals. »Du musst hierbleiben«, flüsterte er. »Ich kann nicht für dich sorgen. Ich weiß ja nicht, was aus mir wird. Auf dem Hof findest du immer was zu Fressen.«
    Jo wollte sich nicht von ihm trennen, als Hinrik ihm jedoch energisch befahl, über die Brücke zurückzulaufen, gehorchte er. Auf halbem Weg blieb er stehen und blickte mit traurigen Augen zu ihm herüber. Erst dann setzte er seinen Weg fort. Auch Hinrik drehte sich noch einige Male um. Mittlerweile war das Feuer auf die Scheune übergesprungen. Hoch schossen die Flammen in den nächtlichen Himmel hinauf. Der Widerschein des Feuers ließ seine wilden blonden Locken, die ihm bis tief in den Nacken herabreichten, an den Spitzen rot erscheinen, als wären sie in Blut getunkt worden.
    Als Hinrik den Wald erreichte, vernahm er Hufschlag. |44| Eine ganze Gruppe von Reitern kam heran. Er zweifelte nicht daran, dass der Graf dabei war.
    Schattengleich zog er sich in den Wald zurück, um seinem Widersacher und dessen Helfern auszuweichen. Er hatte Mühe, die Beine zu heben, und weil das Licht der Flammen ihn schon bald nicht mehr erreichte, verfingen sich seine Füße immer wieder in Baumwurzeln oder im Gestrüpp, so dass er stürzte und häufig genug wie vom Blitz getroffen zu Boden ging. Während er sich aufrappelte, um unbeirrt seinen Weg fortzusetzen, drehte er sich nicht ein einziges Mal um. Er wollte nicht sehen, was hinter ihm war. Alles, was er in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte, ging in Flammen auf. Nichts als rauchende Trümmer würden übrig bleiben, eine Tatsache, die für den Grafen vermutlich bedeutungslos war, ihm aber das Herz brechen wollte. Mit dem Untergang des Hofes ging die letzte Bindung an dieses Land verloren. Ihm war, als würden ihm die Wurzeln abgeschnitten. Er war jedoch zu müde und zu erschöpft, um Trauer oder Zorn zu empfinden. Er fühlte sich leer und ausgebrannt, kaum noch zu einem klaren Gedanken fähig. Er hatte das Gefühl, als wäre ein Teil seines Ichs gestorben.
    Er hatte niemandem gesagt, wohin er gehen wollte. Dabei hatte er einen Plan. Sobald er sich genügend erholt hatte, würde er nach Hamburg aufbrechen. Er kannte die Stadt flüchtig, denn er war nur einmal für ein paar Stunden dort gewesen. Doch das würde sich bald ändern. Entscheidend war, dass Wilham von Cronen in Hamburg lebte. Er würde seinen größten Feind dort stellen. Dazu war er fest entschlossen. Wilham von Cronens Drohung, ihn dem Henker zu übergeben, schreckte ihn nicht ab.

|45| Der Bronzene
    Im Morgengrauen entdeckte Hinrik am Ufer der Stör einen alten Kahn im Schilf, der zum Teil mit Wasser vollgelaufen war. Mit bloßen Händen schöpfte er das Wasser heraus, bis es ihm endlich gelang, den Kahn aus dem Schlick und dem dünnen Eis zu lösen und ins Wasser zu schieben. Vorsichtig, damit das Holz nicht brach, schwang er sich hinein. Die Strömung riss ihn sogleich mit. Er versuchte zunächst nicht, das Boot zu lenken, sondern ließ sich treiben, bis er Itzehoe und die Flussschleife erreichte. Hier gab es reißende Strudel im Wasser, die umso gefährlicher waren, als der Kahn immer mehr Wasser aufnahm. Es drang so rasch durch die Ritzen der Planken, dass er kaum noch mit dem Schöpfen nachkam. Zum Glück aber weitete sich der Fluss an dieser Stelle, so dass sich gegenüber der Einmündung zur Schleife eine weite ruhige Bucht gebildet hatte. Abwechselnd Wasser schöpfend und mit den Händen rudernd gelang es Hinrik, den Kahn aus der Strömung herauszulenken und ins flache Wasser zu bringen. Noch aber wagte er nicht auszusteigen, denn er wusste, dass der Schlick keinen festen Grund bot und dass er auf der Stelle eingesunken wäre. Erst als der Kahn ins Schilf glitt, gab er ihn auf.

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