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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Inga.
    »Wie sieht es aus?«, fragte sie.
    Kort stöhnte entsetzt auf, als das größte aller Schiffe ein anderes mit voller Wucht rammte und dabei in seine Flanke einbrach. »Das ist die ›Bunte Kuh‹. Sie versenkt ein Schiff nach dem anderen.« Das Antlitz des ehemaligen Kapitäns war von tiefer Sorge gezeichnet. »Bei allen Geistern der See, die Hanse bietet wirklich alles auf, was sie hat.«
    Greetje konnte nicht anders. Sie griff nach dem Arm des alten Mannes, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. »Wer gewinnt, Kort? Die Hanse oder wir?«
    »Weiß nicht«, erwiderte er in seiner zurückhaltenden Art. »Noch ist nichts entschieden. Immerhin schweigen die Kanonen. Könnte sein, dass wir das Schiff versenkt haben.«
    Die Freibeuter waren offensichtlich bestrebt, den Kampf in den unberechenbaren Gewässern um Helgoland herum zu führen, die Offiziere der Hanse dagegen zogen sich auf die offene See zurück und lockten die Koggen der Likedeeler hinaus. Immer wieder versuchten die Schiffe, einander zu rammen. Je weiter sich die Schlacht aber auf die See |448| hinaus verlagerte, desto weniger konnten Greetje und die anderen Beobachter auf der Insel erkennen.
    Nachdem etwa zwei Stunden vergangen waren, brachen die Männer von der Insel mit kleinen Booten auf, um die in Not geratenen Seeleute von den gestrandeten oder verbrannten Schiffen zu retten. Sie unterschieden nicht zwischen den Kämpfern der Hanse und den eigenen Leuten. Nach und nach kehren sie mit den Verletzten an Land zurück.
    Greetje hielt es nicht mehr auf ihrem Beobachtungsposten. Selbst aus großer Entfernung konnte sie sehen, dass viele der Geretteten verwundet waren und Hilfe benötigten.
    »Wir müssen etwas tun«, sagte sie zu Inga. »Ich brauche Verbandszeug. Alles, was Ihr mir geben könnt. Aber sauber muss es sein. Sehr sauber.«
    »Mein Haushalt ist sauber«, betonte Inga ein wenig verärgert. »Das sollte Euch eigentlich aufgefallen sein, obwohl Ihr erst ein paar Tage bei uns seid.«
    »Natürlich.« Besänftigend legte Greetje die Hand auf ihren Arm. »Ich wollte Euch nicht beleidigen. Es geht mir nur darum, die Wunden zu verbinden.«
    Die Kapitänsfrau war nicht überzeugt. Mit versteinertem Gesicht ging sie ins Haus und brachte bald darauf ein Bündel von Tüchern und Lappen heraus, die frisch gewaschen worden waren.
    Die erste Verstimmung war eingetreten, als Greetje den beiden mitgeteilt hatte, welches Missgeschick ihr mit der Figur unterlaufen war. Inga hatte sie erschrocken angesehen, als hätte Greetje ein Heiligtum verletzt. Kort hatte ähnlich reagiert. Er war danach verschlossener als zuvor und wechselte kaum noch ein Wort mit ihr. Geradezu verbissen hatte er mit dem Schnitzen einer neuen Figur begonnen.
    |449| Greetje fand, dass sie beide angesichts von Hunderten von Schnitzarbeiten im Haus ein wenig übertrieben. Sie alle konnten Kort und Inga unmöglich so wichtig sein, dass der Verlust einer einzigen Figur sie derart schmerzte. Zumal diese eine Figur keineswegs perfekt gewesen war. Sonst wäre sie ja wohl kaum zerbrochen. Greetje nahm sich vor, sich nach einem Geschenk umzusehen, um die beiden zu versöhnen.
    Wortlos stiegen sie nun die Klippen hinunter zum Strand, wo sich nahezu zweihundert Männer eingefunden hatten, um bei der Bergung der Verletzten aus den Booten zu helfen. Aus der Nähe sah alles noch viel schlimmer aus. Greetje hatte genügend Erfahrung mit der Behandlung von Verletzten, um auf den ersten Blick zu erkennen, dass einige keine Aussicht hatten, die nächsten Stunden zu überleben. Die Waffen hatten klaffende Wunden hinterlassen und bei manchen Arme und Beine abgetrennt. Bei einigen verhinderte der Schock, dass sie verbluteten. Bei anderen spritzte das Blut aus den offenen Adern, und es gab keine Möglichkeit, sie zu retten. Beinahe jeder zweite der Männer schrie oder wälzte sich wimmernd vor Schmerz. Sie flehten Gott um Hilfe an oder verlangten nach Alkohol, um sich zu betäuben.
    Erst jetzt lernte sie den Arzt kennen, der die Insel betreute. Er war ein vierschrötiger Mann mit großen plumpen Händen, der so grob mit den Verletzten umging, wie er aussah. Er nickte ihr nur kurz zu und forderte sie zugleich mit energischer Geste auf, mit der Arbeit zu beginnen. Sie sah, dass er im Gegensatz zu ihr nicht auf Sauberkeit bedacht war. Seine Verbände waren schmutzig, und er versuchte gar nicht erst, Sand und Schmutz aus den Wunden zu entfernen. Am liebsten hätte sie ihn zurechtgewiesen, doch war keine Zeit,

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