Der Blutrichter
und suchte weiter.
Im ersten Stockwerk wurde er fündig. Die Schriftstücke lagen in einer kunstvoll geschnitzten Truhe. Es waren allerdings nicht sehr viele. Nach der flüchtigen Untersuchung der anderen Räume gewann er den Eindruck, dass es keine weiteren Unterlagen in dem Arzthaus gab. Allerdings wollte er sich nicht darauf verlassen. Mit dem erreichten Ergebnis konnte er nicht zufrieden sein. Wilham von Cronen saß ihm im Nacken, und es galt zu vermeiden |445| , dass ihn irgendetwas enttäuschte oder seinen Zorn erregte.
Nicht noch einmal wollte er vor ihm niederknien müssen!
Er stieg bis in das oberste Geschoss des Hauses, und als er hier keine Papiere fand, riss er die Fußbodenbohlen auf, um in den Hohlräumen darunter nachzusehen. Rücksichtslos zerstörte er alles, was ihm im Wege war. Wenn er dabei vorsichtig war, dann nur, um Lärm zu vermeiden.
Im Laufe der Nacht verwandelte er einen Raum nach dem anderen in einen Trümmerhaufen. Schließlich packte er alles, was er gefunden hatte, zusammen in eine kleine Truhe, schulterte sie und verließ das Haus, um sich auf den Weg zu Wilham von Cronen zu machen. Er erreichte das Haus des Richters im Morgengrauen, als die Bediensten bereits mit ihrer Arbeit begannen. Schlaftrunken und träge holten sie Wasser aus dem Brunnen, wuschen die Wäsche, rupften Hühner und putzten das Gemüse für das Mittagessen.
Da er nicht wagte, den hohen Herrn wecken zu lassen, übergab er die Truhe den Bediensteten. Er schärfte ihnen ein, dass sie für von Cronen überaus wichtig war, dann verabschiedete er sich, eilte leicht hinkend davon, holte sein Pferd aus dem Stall und ritt zu den Stadttoren hinaus.
Ein gewaltiges Donnern riss Greetje aus dem Schlaf. Sie fuhr auf und wusste zunächst nicht, wo sie war. Erst allmählich kam die Erinnerung zurück. Durch das offene Fenster klang nicht nur das Schreien der Möwen herein, sondern auch das Gebrüll zahlreicher Männer, die sich jedoch nicht in der Nähe des Kapitänshauses befanden. Irgendetwas war passiert.
|446| Greetje stieg rasch aus dem Bett und eilte zum Fenster. Sie blinzelte, weil ihr das helle Morgenlicht ins Gesicht fiel und sie blendete. Ihr Blick reichte bis auf die Nordsee hinaus, auf der sie in der Ferne zwei Koggen ausmachen konnte. In der mäßig bewegten See zogen sie mit vollen Segeln vorbei. Ein kräftiger Wind trieb sie rasch voran. Es war ein friedliches Bild, das sich ihr bot.
Von rastloser Unruhe erfüllt, streifte sie sich ihr Kleid über und ordnete das Haar. Dann eilte sie die Treppe hinunter und lief vor das Haus, wo Inga Grotjahn und ihr Mann Kort standen und auf die See hinausspähten. Ihnen bot sich ein ebenso grandioser wie beängstigender Anblick. Weit mehr als hundert Koggen mit der roten Flagge der Hanse an ihren Masten näherten sich Helgoland. Darunter ein besonders großes Schiff.
Etwa halb so viele Koggen der Freibeuter hatten Helgoland verlassen und sich den Schiffen der Hanse entgegengestellt. Die Freibeuter kannten sich aus in den Gewässern um Helgoland und wussten diesen Vorteil zu nutzen. Greetje zählte mehr als zwanzig Koggen der Hanse, die auf den Sandbänken gestrandet waren und sich nun nicht mehr befreien konnten.
Auf einem der Hanseschiffe krachten Kanonen. Graue Rauchwolken stiegen auf. Die meisten Kugeln verfehlten ihr Ziel. Wo sie aber trafen, rissen sie die Flanken der Schiffe auf und schlugen ihnen grässliche Wunden. Greetje musste an die Männer an Bord denken. Sie wusste, dass herumfliegende Holzsplitter ihnen fürchterliche Wunden beibrachten. Wirkungsvoller noch waren die Katapulte, mit denen Töpfe voll brennenden Öls auf die Schiffe geschleudert wurden, die diese in Brand setzten.
Überall tobten heftige Kämpfe. Einzelheiten waren selbst mit dem schärfsten Auge kaum zu erkennen. Allein die |447| Flaggen waren eindeutig auszumachen; weiß diejenigen der Freibeuter, rot die der Hanse.
Auf den Klippen der Insel standen jene Likedeeler, die es nicht rechtzeitig an Bord der auslaufenden Schiffe geschafft hatten. Siegesgewiss und laut jubelnd beobachteten sie die Kämpfe, und wohl jeder von ihnen hätte sich am liebsten in die See geworfen, um gegen die Hanse anzutreten. Doch es war angesichts des immer stärker werdenden Windes und der sich auftürmenden Wellen nicht ratsam, mit kleinen Booten hinauszufahren.
Greetje hatte den Eindruck, dass die Flotte der Freibeuter stärker war als die Flotte der Hanse. Sie wandte sich an den Kapitän und seine Frau
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