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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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Schlacht vorbei war. Von ihrem Fenster aus konnte sie die ruhige See sehen. Sie horchte, vernahm das Schreien der Möwen, das regelmäßige Rauschen der Brandung unten am Strand und an den Klippen und sonst nichts. Im Haus war es still. Inga und ihr Mann schienen zu schlafen.
    Sie zog sich an, verzichtete auf Schuhe, um möglichst leise zu sein, und stieg die Treppe hinunter. Auf der letzten Stufe blieb sie stehen, weil ihr ein seltsamer Singsang entgegenklang, so leise, dass sie ihn wohl überhört hätte, wenn sie sich nicht bemühte hätte, jedes Geräusch zu vermeiden. Doch nicht nur das verstörte sie. Etwas Eigenartiges war geschehen. Der mannshohe Engel an der Wand hatte sich gespalten und zugleich geöffnet. Jetzt erkannte Greetje, dass in den vielen Ritzen und Schründen des fast |453| schwarzen Holzes ein Türspalt verborgen war. Ein Flügel, das milde lächelnde Gesicht und der größte Teil des Körpers waren zur einen Seite geschwungen, während der zweite Flügel und ein kleiner Teil des Körpers mit dem Fuß sich zur anderen Seite gewendet hatte. Dazwischen befand sich ein dunkler Schlitz, etwa so breit wie ihr Unterarm.
    Mit heftig pochendem Herzen trat Greetje näher und horchte. Nie zuvor hatte sie einen derartigen Gesang vernommen. Durch den Schlitz konnte sie eine Treppe erkennen, die zum Keller hinabführte. Von dort unten drang die geheimnisvolle Melodie zu ihr herauf.
    Eine innere Stimme riet ihr, nach draußen zu gehen und sich um die Verwundeten zu kümmern. Plötzlich aber ertönte ein spitzer Schrei. Erschrocken fuhr sie zusammen. Es war Ingas Stimme, und Greetje fragte sich, ob die Kapitänsfrau in Gefahr war.
    Während sie geschlafen hatte, waren die Koggen der Hanse womöglich zurückgekehrt und hatten Helgoland erreicht. Auszuschließen war nicht, dass einige der Männer von diesen Schiffen in das Haus eingedrungen waren, so dass Inga nun Hilfe benötigte.
    Vorsichtig zog sie die Engelstür weiter auf, bis sie durch den Spalt schlüpfen und eine aus dem Gestein geschlagene Treppe hinabsteigen konnte. Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Der Singsang wurde nun lauter und intensiver. Das Licht mehrerer Kerzen flackerte im Keller. Nur noch ein oder zwei Stufen, dann würde sie sehen, was sich hier unten abspielte.
    Lautlos ging sie in die Hocke, bis sie unter einem hölzernen Träger hindurchsehen konnte.
    Eine unsichtbare Hand schien sie zu packen und ihr Herz mit unwiderstehlicher Gewalt zusammenzudrücken. Ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, doch über ihre Lippen kam kein Laut.
    |454| Das Haus war klein und unscheinbar. Es lag am Rande von Lübeck an einem Teich und wurde von einer mächtigen Trauerweide beschattet. Enten streckten ihre Hälse in das flache Wasser, um auf dem Grund nach Essbarem zu suchen. Eine grauschwarz gemusterte Katze lauerte am Ufer, packte mit ihrer Pfote blitzschnell einen Karpfen, bohrte ihm die spitzen Krallen in die Flanke und zog ihn geschickt aus dem Wasser.
    Thore Hansen hatte keinen Blick dafür. Als er sich dem Haus näherte, öffnete sich die Tür, und eine große schlanke Frau trat heraus.
    »Ich bin bald zurück, Liebster!«, rief sie durch die offene Tür ins Haus. Ihr Einkaufskorb ließ darauf schließen, dass sie zum Markt gehen wollte, der ein gutes Stück entfernt war.
    »Sieh an«, sagte Thore Hansen leise. »Er hat sich eine Frau oder eine Geliebte zugelegt. Sie ist mindestens zwei Köpfe größer als er, und besonders hübsch ist sie auch nicht. Aber immerhin!«
    Er trat aus dem Schutz der Trauerweide und schritt entschlossen zum Haus hinüber.
    Fieten Krai sah überrascht auf, als die wuchtige Gestalt plötzlich vor ihm auftauchte. Erschrocken ließ er eine Ente fallen, die er ausgenommen hatte und nun rupfen wollte.
    »Hansen, was macht Ihr hier in . . .?«, begann er, verstummte jedoch, als ihm der Henker ein Messer an den Hals setzte.
    »Ich glaube, du kannst mir sagen, wo ich Hinrik vom Diek finde«, raunte der Henker von Hamburg. »Und zwar ziemlich schnell, damit ich gar nicht erst in Versuchung komme, dir oder deiner Liebsten wehzutun. Ach, bevor ich es vergesse: Hast du etwas von Greetje gehört? Es heißt, sie ist in London, aber das glaube ich nicht. Nun? Warum redest du nicht?«
    |455| Als Hinrik und Störtebeker dem bärtigen Gödeke Michels auf den Hof hinaus folgten, begann der Graf zu schreien. Mit aller Kraft, die noch in ihm steckte, rief er um Hilfe.
    »Wir hätten ihm den Hals umdrehen sollen«, sagte Gödeke Michels

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