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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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ich mich für den Rest meines Lebens auf den Sperberhof zurückziehe, will ich wissen, wer er ist. Ich werde ihm das Visier vom Gesicht reißen und ihm mein Schwert zwischen die Rippen rammen.«
    Jeder hing seinen Gedanken nach. Hinrik dachte vor allem an seine Greetje, die er auf Helgoland im Hause des Kapitäns Kort Grotjahn wusste. Es beruhigte ihn ungemein, dass wenigstens sie außer Gefahr war.
     
    Das flackernde Kerzenlicht tauchte die Szene in ein gespenstiges, unwirkliches Licht. Aus kleinen Schalen, in denen Kräuter glommen, stiegen eigenartige Gerüche auf. Sie schienen den kleinen Kellerraum ebenso auszufüllen wie die ominösen hölzernen Figuren. Sie waren alle mindestens eine Elle lang, wirkten breit und wuchtig. Sie standen nebeneinander auf einer Art Altar, wobei jede Figur in eine andere Richtung blickte.
    Greetje konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie lebten, dass sie von ihnen fixiert wurde und dass eine geheimnisvolle Kraft von ihnen ausging, die ihre Muskeln |461| lähmte und sie daran hinderte aufzustehen. Alle Figuren hatten unterschiedliche Gesichter. Nein, es waren keine Gesichter. Es waren Fratzen, verzerrte dämonische Fratzen mit einer diabolischen Ausstrahlung.
    Götzen! Heidnische Götzen!
    Derartiges hatte Greetje nie zuvor gesehen. Die Angst lief ihr kalt über den Rücken, ließ ihre Hände geradezu erstarren.
    Das war es, wogegen die Femegerichte kämpften. Inga und Kort Grotjahn waren nach außen hin Christen. Der Engel war nichts als Täuschung. Dahinter verbarg sich ihr wahrer Glaube. Christen waren sie nach der Christianisierung Norddeutschlands geworden, doch sie hatten sich von diesem Glauben längst wieder abgewandt und huldigten nach wie vor den heidnischen Götzen. Damit widersetzten sie sich dem Kaiser und auch dem Papst in Rom, dem Vertreter Gottes auf Erden, der einen grausamen Tod für derartige Sünder forderte.
    Plötzlich hatte sie die Gehenkten von Verden wieder vor Augen, die von einem Femegericht verurteilt und hingerichtet worden waren. Ebenso die Frevler, die man in den Wäldern um Itzehoe aufgehängt hatte. Sie meinte, die zur Erbarmungslosigkeit erstarrten, konturlosen Gesichter jener Männer vor sich zu sehen, die zum Femegericht zusammengetreten waren, um das Todesurteil zu sprechen. Während sie sich vorsichtig und ohne den geringsten Laut zu verursachen über die Stufen nach oben zurückzog, durch die Tür schlüpfte und diese wieder schloss, dachte sie daran, dass Kort die meiste Zeit seines Tages damit verbrachte, vor dem Haus auf einer Bank zu sitzen und zu schnitzen. Diese Figuren bekamen nun eine ganz andere Bedeutung für sie.
    Gott schien eine Möwe geschickt zu haben, um das Götzenbild zu zerstören, das vom Fenster in seinen Himmel |462| hinaufblickte. Was Wunder, dass die Figur zerbrochen war, als sie auf den Boden prallte.
    Nun verstand sie, weshalb Inga so verstimmt gewesen war, als sie ihr den Vorfall gebeichtet hatte, an dem sie nicht die geringste Schuld hatte.
    Es trieb Greetje hinaus an die frische Luft. Sie meinte, im Haus nicht mehr atmen und den Singsang nicht ertragen zu können, der nach wie vor aus dem Keller zu ihr heraufklang.
    Es war ihre christliche Pflicht, die Götzendiener zu melden!
    Am Rand der Klippen blieb sie stehen und blickte auf den Strand hinunter. Dort lagen in langen Reihen die Verletzten der Seeschlacht. Der Priester der Insel stand am Wasser, wo einige Dutzend Männer dabei waren, die Toten in kleine Kähne zu verladen und dann zu zwei Koggen hinauszubringen, die im tieferen Wasser ankerten. Der Priester segnete jeden Einzelnen auf seinem Weg zu dem nassen Grab, das sie alle weit weg von Helgoland auf hoher See finden sollten.
    Greetje erinnerte sich daran, dass die Verwundeten versorgt werden mussten, so gut es eben ging, und sie stieg die in die Klippen geschlagenen Stufen hinab. Als sie den Strand erreichte, kam ihr Hein Schwan mit hochrotem, vor Wut verzerrtem Gesicht entgegen.
    »Das ist Teufelswerk«, rief er schon lange, bevor er sie erreicht hatte. »Du bist eine Hexe, du hast alle Männer, die ich behandelt habe, mit einem Fluch bedacht, nur um mich in ein schlechtes Licht zu setzen. Aber du irrst dich, Greetje Barg, wenn du glaubst, auf diese Weise meine Nachfolgerin auf der Insel werden zu können. Ich sorge dafür, dass du wegen Hexerei angeklagt wirst!«
    Sie blieb erschrocken stehen. »Was ist überhaupt los?«, fragte sie. »Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet.«
    |463| »Wovon ich

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