Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
Vom Netzwerk:
enden will. Er ist ein Wissender, und er hätte niemals etwas über die Femegerichte erzählen dürfen. Also wird er schweigen. Möglicherweise wird er behaupten, wir hätten versucht, ihm sein Geld zu stehlen.«
    »Das wäre eine gute Idee gewesen«, grinste Gödeke Michels. »Leider haben wir nicht genügend Zeit gehabt, das Haus auf den Kopf zu stellen und zu schütteln, bis alle Münzen herausfallen.«
    |458| Der Tag hatte mit gutem Wetter begonnen, gegen Mittag aber zogen graue Wolken auf, und es begann zu regnen. Glücklicherweise stieg das Wasser während der Flut nicht sehr hoch, so dass die Elbufer nicht überflutet wurden. Dennoch kamen sie langsamer voran. Als sie das Elbufer in der Nähe der Störmündung erreichten, war es bereits später Abend geworden. Sie machten einen lang gestreckten, etwa sechs bis sieben Ellen hohen Wall aus. Einige Weiden boten ihnen Schutz.
    Sie sammelten Holz, schichteten es aber nicht auf. Störtebeker hielt es für zu gefährlich, in der hereinbrechenden Dunkelheit ein Feuer anzuzünden. Damit würden sie nicht nur ihre Freunde auf der »Möwe« aufmerksam machen, sondern auch ihre Feinde.
    Der Späher stieg auf die höchste der Weiden. Kaum oben angekommen, stieß er einen schrillen Schrei aus und kletterte ungewöhnlich rasch wieder herunter.
    »Geht in Deckung«, rief er. »Legt Euch hinter den Wall. Eine Kogge der Hanse kommt die Stör herunter. Sie haben einen Späher auf dem Mast. Wenn er uns sieht, sind wir erledigt.«
    So deutlich hätte er sich gar nicht auszudrücken brauchen. Jeder von ihnen wusste, was es bedeutete, wenn sie unter diesen Umständen von den Männern der Hanse angegriffen wurden. Sie hätten weder eine Chance gehabt, sich zu behaupten, noch zu entkommen. Um die Deckung des Walls zu nutzen, warfen sie sich auf den Boden, und nun zeigte sich, wie weitsichtig die Entscheidung Störtebekers war, noch kein Feuer zu machen.
    Es dauerte nicht lange, bis sie einige Kommandos des Kapitäns vernahmen, der die Kogge aus der Störmündung heraus auf den großen Strom manövrierte. Wegen des niedrigen Wasserstandes musste er einer Rinne folgen, die in weitem Bogen durch den Schlick hinaus auf die Elbe |459| führte. Der Wind kam aus wechselnden Richtungen, so dass sein ganzes Geschick gefordert war, damit das Schiff nicht strandete.
    Vorsichtig schob sich der Späher aus der Deckung heraus und sah durch die tief hängenden Zweige einer Weide hindurch zu der Kogge hinüber. Als er sah, dass sie sich immer weiter von ihnen entfernte, glitt er zu den anderen zurück.
    »Ihr könnt die Beine ausstrecken«, sagte er, rollte sich auf den Rücken und verschränkte die Hände unter dem Kopf. »Es dauert eine ganze Weile, bis sie so weit weg sind, dass wir aufstehen können.«
    »Sind Landsknechte an Bord?«, fragte Störtebeker.
    »Das konnte ich nicht erkennen«, antwortete er. »Auf jeden Fall sind ungewöhnlich viele Männer auf dem Schiff. Es könnten durchaus diese verfluchten Pluderhosen sein.«
    »Wie sich die Zeiten ändern«, stellte Störtebeker nicht ohne Bitterkeit fest. »Die gleichen hansischen Kaufleute, die bisher eng mit uns zusammengearbeitet und dabei glänzende Geschäfte gemacht haben, wenden sich nun gegen uns. Sie haben die Jagd eröffnet. Die Einzigen, auf die wir uns nach wie vor verlassen können, sind die Friesen. In Marienhaven kommen wir immer sicher unter. Ebenso auf Helgoland. Aber ich sehe die Zeit nahen, in der auch das vorbei ist. Deshalb muss ein letzter Fischzug genügen.«
    Er erhob sich und blickte auf die Elbe hinaus. Die Kogge war nun schon so weit von ihnen entfernt, dass sie sie nicht mehr zu fürchten brauchten. Dennoch wollte er das eingesammelte Holz erst nach Sonnenaufgang am nächsten Morgen anzünden.
    »Wir haben harte Zeiten vor uns«, erkannte Gödeke Michels. »Seien wir ehrlich. Unsere Mission beim Grafen |460| ist gescheitert. Wir wissen jetzt, weshalb Wilham von Cronen und die anderen gegen Hinrik vorgegangen sind und dass der bronzene Ritter der Henker ihres Femegerichts ist, aber wir wissen nicht, wer sich hinter dem Visier verbirgt.«
    »Auf jeden Fall ist es jemand, der uns alle gut kennt«, schloss Hinrik.
    »Das ist sicher«, bestätigte Störtebeker. Er ging einige Schritte bis an den Rand des Walls und blickte lange auf die Elbe hinaus. Der Abend war friedlich, und keiner der vier Männer ahnte, welch wilde Schlacht vor Helgoland ausgetragen wurde und wie viele Opfer es dabei auf beiden Seiten gab. »Bevor

Weitere Kostenlose Bücher