Der Blutrichter
habe ihm mein Haus verkauft.«
»Lass mich in Ruhe«, fauchte sie ihn an. Sie lief in den Wald hinein. Er rannte hinter ihr her.
»Ich tu dir nichts«, beteuerte er. »Ganz bestimmt nicht.«
»Du bist genauso ein Mistkerl wie der fette Mönch«, rief sie und rannte noch ein wenig schneller. Um sich zu vergewissern, dass ihr Vorsprung wuchs, blickte sie sich über die Schulter um. Dabei übersah sie eine knorrige Baumwurzel, die sich quer über den Pfad schlängelte. Sie stolperte und schlug der Länge nach hin. Ihr Rock verrutschte, und für einen kurzen Moment sah er ihren jungfräulichen Schoß, der von einem ersten Flaum beschattet wurde. Mit rotem Kopf zupfte sie ihren Rock zurecht. Sie wollte aufstehen, sank jedoch mit einem Klagelaut auf den Boden zurück und hielt sich den Fuß, den sie sich beim Sturz verletzt hatte. Als Hinrik auf sie zutrat, kroch sie ängstlich von ihm weg.
»Das ist lächerlich«, sagte er. »Du könntest mir nicht entkommen, auch wenn ich böse Absichten hätte. Habe ich aber nicht. Ganz im Gegenteil.«
»Du bist genauso widerlich wie der fette Mönch«, schleuderte sie ihm entgegen. »Du treibst dich im Wald |74| herum, um ihn dabei zu beobachten, wie er den Jungen schändet. Du bist lüstern und verdorben. In die Hölle wirst du dafür kommen.«
»Unsinn.«
»Und wieso bist du dann hier?«
»Das sollte ich dich fragen. Gehst du in den Wald, um herauszufinden, was andere Leute so treiben?«
»Wenn du mich anfasst, beiße ich dich«, drohte sie. Weil sie einsah, dass sie ihm unter den gegebenen Umständen nicht entkommen konnte, blieb sie endlich auf der Stelle sitzen. »Mein Vater bringt dich um.«
»Warum sollte er das tun?«, lachte Hinrik. »Ich habe vor, ihm seine Tochter unbeschädigt nach Hause zu bringen. Allein kann sie nicht laufen, also werde ich sie stützen oder tragen, wenn es nicht anders geht.«
»Komm nicht näher, oder ich kratze dir die Augen aus!«
Abwehrend hob er die Hände. »Wie du willst. Ich lass dich allein. Du kannst dich ja mit den Wölfen amüsieren. Erst gestern habe ich hier in der Gegend welche gesehen.«
»Erst will ich wissen, wieso du hier im Wald bist.«
»Ich will Ritter werden. Ebenso wie mein Vater, der ein berühmter Ritter war«, antwortete er. »Ich laufe, um schneller, ausdauernder und kräftiger zu werden.«
»Du lügst«, warf sie ihm vor. »Ein Ritter muss nicht schnell sein. Beim Kampf mit dem Schwert sitzt er auf seinem Pferd.«
»Das ist richtig, hm . . .«
»Also hast du gelogen«, unterbrach sie ihn.
»Nein, das verstehst du nicht.« Er ging langsam in die Hocke. »Man muss schon kräftig sein, wenn man mit dem Schwert kämpfen will. Du weißt ja nicht, wie schwer so eine Waffe ist.«
»Ach, lass mich in Ruhe!« Sie wandte sich von ihm ab, |75| hielt sich an den Ästen einer Eiche fest und stand mühsam auf. Sie versuchte, einige Schritte zu gehen, konnte den verletzten Fuß jedoch nicht belasten und sank wimmernd zurück auf den Boden.
»Du bist garstig und reichlich dumm«, erwiderte er. »Außerdem bist du nicht gerade hübsch. Deine Nase ist zu groß, und dein Gesicht sieht aus wie ein vergammelter Käse.«
Aufgebracht schleuderte sie einen großen Fliegenpilz nach ihm, den sie rasch ausgerupft hatte. Sie verfehlte ihn, weil er sich geschickt zur Seite neigte.
»Nicht mal werfen kannst du«, grinste er. »Was kannst du eigentlich? Vermutlich gar nichts.«
Bleich und sprachlos vor Wut und Ärger starrte sie ihn an. Sie war nicht gerade eine Schönheit, aber hässlich war sie ganz sicher nicht. Ihre Nase war keineswegs zu groß. Ganz und gar nicht. Eigentlich sah sie so aus, wie er sich in seinen Träumen ein Mädchen vorgestellt hatte.
»Ich hasse dich!«, brachte sie endlich hervor.
»Ich kann dich auch nicht leiden«, entgegnete er mit Nachdruck. »Aber nach Hause werde ich dich trotzdem bringen.«
Sie überlegte lange und gab dann endlich auf. Die Lippen hatte sie zu einem dünnen weißen Strich zusammengepresst, ihre graublauen Augen funkelten dunkel. »Mein Korb mit Pilzen steht noch dort«, eröffnete sie ihm. »Ich will, dass du ihn holst.«
»Später, wenn ich sicher sein kann, dass Albrecht nicht mehr im Wald ist. Erst bringe ich dich nach Hause.«
»Du bist feige.«
»Nein, nur vorsichtig.«
»Ich lege jetzt meinen Arm um deine Schulter«, kündigte sie an, nachdem sie wieder eine Weile nachgedacht hatte. Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn, und |76| ihre Augen wurden schmal. Ihm
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