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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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so etwas nicht noch einmal passiert. Am besten nehme ich beim nächsten Mal einen Strick mit, damit ich das Biest zusätzlich sichern kann. Wieder etwas gelernt.
    Erstaunt richtete er sich auf. In der Tat. Christian ging anders vor. Er ließ ihn keinesfalls links liegen, wie Hinrik befürchtet hatte, sondern brachte ihm auf seine eigene Art ganz wesentliche Dinge bei.
    |66| Hinrik musste lernen, ein Pferd richtig zu behandeln, damit er sich jederzeit und in jeder Situation auf diesen Partner im Kampf verlassen konnte. Hatte er sein Pferd nicht im Griff, brauchte er in einer Schlacht gar nicht erst anzutreten. Er hätte verloren, bevor sie noch begonnen hatte.
    Von nun an fand Hinrik die täglichen Arbeiten und die nächtlichen Ausflüge nicht mehr so langweilig. Er widmete sich dem Pferd mit besonderer Hingabe und nutzte jede Gelegenheit, sich mit ihm zu beschäftigen und es in seinem Sinne zu erziehen. Nach kurzer Zeit schon wurden erste Erfolge sichtbar, und der Wallach folgte seinen Befehlen. Zunächst waren es nur kleine Aufgaben, die er dem Pferd stellte, doch sie wurden allmählich immer anspruchsvoller. Es zeigte sich, dass Hinrik ein besonderes Gespür für Tiere hatte und dass er das Talent besaß, sich in sie hineinzudenken. Als er den Wallach eines Tages über den Burghof führte und sich dabei mal in diese, mal in jene Richtung wandte, folgte ihm das Pferd gehorsam wie ein Hund, ohne dass er es an einem Strick halten musste. Ein Auftritt, der einem Triumphzug glich und dafür sorgte, dass sein Ansehen bei den anderen Knappen gewaltig stieg. Sie hörten auf, ihn zu verspotten, sprachen mit ihm, frozzelten und scherzten miteinander oder teilten ein Stück Kuchen mit ihm. Allmählich und ohne großes Aufsehen ward er in ihrem Kreis aufgenommen.
    Nur Felix stand ihm nach wie vor ablehnend gegenüber. Eifersüchtig beobachtete er die Entwicklung, die ihm einen Stich versetzte, zumal er selbst von den anderen nicht geachtet, sondern lediglich geduldet wurde. Hinrik war neugierig und wollte wissen, was der Grund dafür war. Aber er erhielt keine Antwort.
    »Kümmere dich nicht darum«, empfahl ihm Johannes, ein untersetzter, kräftiger Junge, der gleich alt war wie |67| Hinrik, aber schon seit sechs Jahren Knappe war. »Es geht dich nichts an.«
    Diese Antwort warf bei Hinrik neue Fragen auf und stachelte seine Neugier an. Es gab ein Geheimnis um diesen blassen, unscheinbaren Jungen mit den melancholischen Augen. Er stellte keine weiteren Fragen, hielt aber die Augen offen, entschlossen, früher oder später herauszufinden, was sich hinter dem seltsamen Wesen des Jungen verbarg. Viel Zeit blieb ihm dafür nicht, denn sowohl Ritter Christian als auch der Mönch Franz hatten die Zügel angezogen und ließen ihm nicht mehr so viel Freiraum wie zuvor. Beide forcierten die Ausbildung, so dass ihm einerseits der Kopf rauchte und ihn andererseits die Muskeln am ganzen Körper schmerzten. Der Mönch dehnte das Pensum immer weiter aus, und wenn Hinrik aus der Bibliothek kam, wartete Christian bereits auf ihn, um ihn körperlich zu fordern, ihn im Kampf zu schulen, seine Kondition zu verbessern und ihn in jeder Hinsicht zu kräftigen. Er zeigte ihm, wie ein Schwert geführt wurde, wie eine Ritterrüstung anzulegen war und wie man sich darin bewegen konnte. Er hetzte ihn mit zwei vollen Wassereimern um die Burg und machte ihm die Hölle heiß, wenn er dabei zu viel Wasser verlor.
    »Ich habe deinen Arsch gerettet«, brüllte er. »Dafür verlange ich, dass du dir Mühe gibst. Also los – weiter!«
    Er füllte die Eimer immer wieder auf, bis Hinrik es endlich schaffte, schnell zu laufen und dennoch mit nahezu vollen Eimern ins Ziel zu kommen.
    Am Abend fiel der Junge todmüde ins Stroh und schlief augenblicklich ein. Doch nicht immer war es ihm vergönnt, bis zum Morgen durchzuschlafen. Einige Male scheuchte Christian ihn mitten in der Nacht hoch, um weitere Übungen mit ihm durchzuführen oder ihm zu zeigen |68| , wie man sich in der Dunkelheit in einem weitgehend unbekannten Gelände zurechtfand.
    Einmal holte er Hinrik nachts aus dem Stall, wo dieser neben dem Wallach schlief, um im hellen Mondlicht auf dem Burghof boxen zu üben. Da er ihm weit überlegen war, verlangte er von Hinrik den bedingungslosen Angriff, während er selbst sich darauf beschränkte, sich zu verteidigen und die Schläge abzuwehren. Er versprach ihm, dass er wieder ins warme Stroh zurückkehren dürfe, wenn es ihm gelinge, insgesamt zehn

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