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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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er nach den Zügeln griff. Die Anzeichen waren deutlich, aber sie störten den Ritter nicht. |110| Er hatte nicht vor, mit dem Händler zu zechen, sondern wollte möglichst sicher nach Hamburg hinein, und das war ihm in Gesellschaft leichter möglich, als wenn er sich der Stadt zu Fuß und als Einzelner genähert hätte. Hamburg war die Stadt des Handels, des Handwerks und des seeoffenen Hafens. Auf mittellose Zuwanderer war man nicht gerade erpicht.
    Gromann wies ihm einen Platz auf einer Kiste hinter dem Kutschbock zu, ließ die Peitsche knallen und trieb das Pferd an, weil er auf jeden Fall vor Einbruch der Dunkelheit in der Stadt sein wollte, wo er vor Überfällen sicher war. Je mehr sich der Tag seinem Ende zuneigte, umso nervöser und ungeduldiger wurde der Händler. Immer wieder fuhr er seinen Gehilfen gereizt an und warf ihm Fehler vor, die sich auf längst zurückliegende Geschäfte und Ereignisse bezogen. Obwohl Gromann ihn mehrfach aufforderte, Stellung zu beziehen, hütete er sich, einen Kommentar abzugeben, denn er wollte nicht in einen Streit verwickelt werden.
    Voller Spannung – aber auch mit einer gewissen Unsicherheit – sah er der großen Stadt entgegen, von der bei den Rittern und Händlern so viel die Rede war, an die er selbst sich aber kaum erinnerte. Unwillkürlich atmete er auf, als sie ein letztes Waldstück passierten und endlich die Tore der Stadt vor ihnen auftauchten. Eine wuchtige Mauer war an einem breiten Wassergraben entlang errichtet worden. Dahinter zeichnete sich ein Meer von roten, schwarzen und grauen Dächern ab, die mit gebrannten Ziegeln, Schieferschindeln oder Stroh gedeckt waren.
    Auf vielen vor den Toren zusammenführenden Wegen zogen Dutzende von Wagen in die Stadt ein, Händler, Gaukler, Handwerker, Viehhändler, Holzarbeiter, die schwere Baumstämme aus den Wäldern herbeibrachten, Reiter auf schweren Pferden und einige bequeme Kutschen |111| der Reichen und Edlen. Als Gromann durch das Tor und an den Wachen vorbeifuhr, fürchtete Hinrik Schwierigkeiten. Doch die Wachen kannten den Händler. Sie stellten keine Fragen und ließen ihn anstandslos passieren. Hinrik blickte flüchtig über die Schulter hinweg zu ihnen hin und stellte erleichtert fest, dass sie sich nicht für ihn interessierten. In der Ferne sah er das im Licht der tief stehenden Sonne funkelnde Wasser der Elbe. Sein erstes Ziel hatte er erreicht. Irgendwo in diesem Häusermeer, verborgen in den verwinkelten, engen Gassen, in denen es vor Menschen und Vieh nur so wimmelte, lebte Wilham von Cronen. Hinrik war sich sicher, dass der Ratsherr so ziemlich allen Hamburgern bekannt war und dass er nur nach ihm zu fragen brauchte, um ihn zu finden.
    Es war allerdings besser, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten und Geduld zu beweisen. Wochen waren seit der Nacht auf dem Gutshof des Grafen Pflupfennig vergangen, und es war eher anzunehmen, dass von Cronen nicht mehr mit ihm rechnete und somit keine Spione an den Stadttoren mehr postiert hatte. Außerdem war höchst fraglich, ob sie ihn überhaupt erkannt hätten mit seinem Vollbart und der derben Kleidung. Die Locken fielen ihm tief in die Stirn, so dass niemand die daumengroße schwarze Narbe sehen konnte.
    Gromann kannte sich aus. Kaum hatte er das Tor passiert, als sich seine Laune schlagartig verbesserte und er von dem Hamburger Bier zu schwärmen begann, das so vorzüglich war, dass es mit Koggen von der Alster und über die Elbe bis zum Stalhof in London, bis in den hohen Norden Norwegens und über die Ostsee bis in die fernen Häfen Rigas oder Nowgorods verschifft wurde.
    »Wusstet Ihr, dass die Hanseaten mehr Bier produzieren und in alle Welt verkaufen, als alle Einwohner der Stadt jemals versaufen könnten, und wenn sie sich noch |112| so sehr dabei anstrengen?«, lachte er, wobei er sich mit dem Handrücken über die Lippen fuhr. Vor lauter Gier lief ihm das Wasser derart im Mund zusammen, dass er es kaum bergen konnte und ihm ein Teil über das Kinn rann. »Seht Euch vor, mein Freund. Wenn Ihr lange nichts getrunken habt, seid Ihr schon von einem einzigen Krug besoffen. Auf der einen Seite spart das viel Geld, auf der anderen ist es schade, wenn man nur so wenig genießen kann.«
    Sie reichten sich zum Abschied die Hände, und Hinrik schenkte auch dem Gehilfen ein freundliches Lächeln. Seit sie in der Stadt waren, machte der Mann einen eingeschüchterten Eindruck. Er schien sich in dem Gewimmel der Menschen, die allen erdenklichen

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