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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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für Geschäfte die Eigentümer der Schiffe betrieben. Mochten sie aus Hamburg kommen oder nicht – er hatte nichts mit ihnen und sie hatten nichts mit seinen Problemen zu tun. Welche Verletzungen die Männer bei der Verrichtung ihrer Arbeit davongetragen hatten, mochte für sie als Heilerin interessant sein – für ihn nicht. Als sie berichtete, dass die Schiffe nicht nur zur Stadt hin entladen oder von dort aus beladen wurden, sondern dass zuweilen mehrere Schiffe zugleich anlegten und dass dann Ladung von Bord zu Bord |105| ging, hörte er kaum hin. Er horchte erst auf, als sie hinzufügte: »Mich würde nicht wundern, wenn eines dieser Schiffe eine weiße Flagge mit einem schwarzen Stierkopf darauf hissen würde.«
    »Eine solche Flagge habe ich gesehen«, erzählte er, doch nun war sie unaufmerksam. Sie nahm den Hasenbraten vom Feuer und legte ihn auf den Tisch, um ihn zu zerteilen. Eine große Portion für ihn, eine kleine für sich selbst.
    »Schluss mit dem Gequatsche«, befahl sie. »Glaubst du denn, dass ich mir solche Mühe mit dem Braten gebe und dann zulasse, dass du dauernd von was anderem redest? Schlag dir die Wampe noch einmal voll. Du hast eine harte Zeit vor dir. Morgen wirst du dich auf die Socken machen. Du kannst schließlich nicht ewig hierbleiben.« Sie kicherte. »Die Leute vermuten schon, dass ich den Betthasen für dich spiele.«
    Er lachte ausgelassen. Die Vorstellung, dass er und diese alte Frau etwas miteinander haben sollten, war gar zu komisch.
     
    Spööntje gab ihm ein wenig Geld mit auf den Weg. Er weigerte sich lange, es anzunehmen, und gab erst nach, als sie ihn anfauchte: »Bilde dir bloß nicht ein, dass ich es dir schenke! Das kann ich mir verdammt noch mal nicht leisten. Ich leihe es dir, und ich erwarte, dass du Hundesohn irgendwann bei mir auftauchst und mir das Geld zurückgibst. Mit Zinsen, versteht sich!«
    »Das werde ich«, versprach er.
    Sie begleitete ihn ein Stück in den Wald hinein, bis sie einige Kräuter entdeckte und sich ihnen zuwandte. »Ich weiß, dass dich die Rache nach Hamburg treibt«, sagte sie, ohne ihn anzusehen. »Das ist in Ordnung. Schließlich hat |106| man dich nach Strich und Faden betrogen. Einen Fehler darfst du allerdings nicht machen. Er könnte dich den Kopf kosten. Geh nicht geradewegs und mit voller Wucht auf dein Ziel los wie ein Stier. Das ist die Taktik der Ritter, aber die ist nicht immer erfolgreich. Du musst Geduld haben und die Lage sorgfältig prüfen. Greifst du von Cronen zu früh an, dann ergeht es dir wie den Rittern im Sumpf. Du versinkst, und der Ratsherr sieht dir grinsend zu, wie du langsam krepierst.«
    Hinrik nickte zustimmend und machte sich auf den langen und beschwerlichen Weg zu der Hafenstadt an der Alster. Zunächst schlug er sich durch Wälder und Sümpfe in den Niederungen der Elbe, bis er eine schmale Straße erreichte, die von den durch die Lande ziehenden Händlern bevorzugt wurde, obwohl sie nur wenig Sicherheit bot. Oft genug hatte er von Wegelagerern gehört, die Reisende überfielen, ausplünderten und ermordeten, sofern diese allein reisten, denn ein einzelner Mann konnte wenig gegen sie ausrichten, und wenn er noch so kampferprobt war. Ein Pfeil, mit einer Armbrust abgeschossen, konnte ihn erledigen, bevor er einen Finger rührte, um sich zu wehren. Wer die Sümpfe und Wälder unbeschadet überwinden wollte, musste sich einer Gruppe von Händlern anschließen, die meist von wehrhaften Männern begleitet wurden.
    Wollte man den Gerüchten glauben, waren es nicht nur die Ausgestoßenen, die Armen und die Hoffnungslosen, die als Wegelagerer über die Runden zu kommen hofften, sondern auch Landedelleute und Ritter, die Überfälle verübten und dabei nicht einmal davor zurückschreckten, Zeugen zu ermorden. Es schmerzte Hinrik, dass der Ruf der Ritter immer mehr litt und dass von den Tugenden dieses Standes kaum noch die Rede war. Allzu oft wurden die Ritter mit jenen Raubrittern gleichgestellt, die ganze |107| Landstriche unsicher machten. So konnte es nicht verwundern, dass Handelsgüter immer häufiger auf dem Wasser transportiert wurden. Aber auch auf der Elbe gab es Gefahren. In ruhigen Buchten, in den trägen Nebenarmen des Stroms, an Flussmündungen, im Schutze der Inseln oder in der Nähe tückischer Untiefen versteckten sich Piraten, die auf leichte Beute hofften. Doch auf den weiten Wasserflächen und in der starken Strömung fanden kundige Schiffsführer häufig Fluchtmöglichkeiten, so dass die

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