Der Blutrichter
bestimmt.«
»Wenn Fieten bei mir wäre, wüsste er wenigstens, was zu tun ist«, erwiderte Berta, während sie von Hinriks Schoß glitt. Sie warf ihm einen verheißungsvollen Blick zu. »Während du Saufkopp längst vergessen hast, um was es geht. Du hast den Kleinen sicherlich nur noch zum Pissen.«
Für diese Worte erntete sie schallendes Gelächter. Fieten Krai grinste, gab ihr einen Klaps auf das Hinterteil, trank einen kräftigen Schluck aus dem Krug, griff zu seinem Instrument und brachte die Saiten zum Klingen. Augenblicklich wurde es still. Er tat, als müsste er überlegen, um den rechten Einstieg zu finden, begann dann aber rasch zu erzählen, bevor es wieder unruhig wurde. Mit wohlgesetzten, aber derben Worten berichtete er von einem Seeräuber namens Claas Störtebeker, einem rechten |118| Schlagetot, der sein blutiges Handwerk grausam und ohne Gnade verrichtete, der zusammen mit seinem Mitstreiter Gödeke Michels Handelsschiffe vor allem aus Hamburg überfiel und ausraubte und alle, die den Kampf um das Schiff überlebten, Mann für Mann, enthaupten ließ, um die Leichen danach in die Nordsee zu werfen – als Speise für die Hummer, die vor allem um Helgoland herum in großer Zahl lebten.
Fieten Krai nahm kein Blatt vor den Mund. Mit nicht zu überbietender Deutlichkeit schilderte er, wie Störtebeker und seine Männer jede Frau vergewaltigten, die sie an Bord der Handelsschiffe antrafen, und die geschundenen Leiber danach in die See warfen, wo elendig ertrinken musste, wer die Gewalttaten zuvor überlebt hatte. Er besang, wie jener Mann zu dem Namen Störtebeker gekommen war, indem dieser Mann einen riesigen Krug mit Bier in einem Zug heruntergestürzt hatte, während seine Kumpanen ihn anspornten: »Stürz den Becher – Störtebeker!«
Gewaltiges Gelächter rief seine Schilderung von der ersten Seefahrt dieses Mannes hervor, bei der er seekrank geworden war und über die Reling gebeugt dem Meer und den Wellen seinen Mageninhalt geopfert hatte. Fieten Krai behauptete, besser sei es erst geworden, nachdem Störtebeker ein Stück Speck geschluckt habe, das Gödeke Michels an einen langen Faden gebunden und das er ihm langsam wieder aus dem Magen hochgezogen habe. Störtebeker habe es erneut hinuntergewürgt – woraufhin die Prozedur unter dem Beifall der ganzen Mannschaft noch einige Male wiederholt worden war.
Die Zuhörer johlten vor Vergnügen. Einige ließen ihm zur Belohnung Bier bringen, andere etwas zu essen.
»Das hört sich ja entsetzlich an«, sagte Hinrik, als es ruhiger geworden war und Fieten Krai verschlang, was |119| ihm Berta auf den Tisch gestellt hatte. »Ich hätte nicht gedacht, dass Störtebeker, Michels und die Vitalienbrüder solche Mordbrenner sind. Unter diesen Umständen müssen sie damit rechnen, dass sich die Besatzungen der Handelsschiffe besonders heftig gegen die Überfälle wehren, weil alle wissen, dass es ums nackte Überleben geht.«
»Claas Störtebeker ist noch viel schlimmer«, behauptete der Gaukler und fuhr sich mit dem Handrücken über den verschmierten Mund. »Er hat sich aller Verbrechen schuldig gemacht, die gegen den Christenglauben und die Zehn Gebote gehen. Von Kirchenschänderei, Meuchelmord, Meineid, Fälschung und Gotteslästerung gar nicht erst zu reden. Ungeschoren lässt er nur jene Handelsfahrer davonkommen, die sich sofort und ohne Kampf ergeben. Allen anderen ergeht es schlecht. Was ich erzählt habe, ist ja noch harmlos. Er ist grausam und mordlüstern. Gödeke Michels ist nicht viel besser, aber er mordet nicht aus Lust am Töten und aus Gier nach menschlichem Blut. Er bringt Störtebeker meist zur Vernunft, sonst würden jedem Gefangenen erst einmal die Arme und Beine abgeschlagen, bevor er getötet wird.«
»Kaum zu glauben.«
»Glaubt mir. Es ist die reine Wahrheit. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Störtebeker einem Gefangenen zuerst den Bauch und dann die Speiseröhre aufgeschlitzt hat, um ihm danach den Magen und das Gedärm herauszunehmen, ohne die Leber, die Nieren oder gar das Herz zu beschädigen. Er hat gewettet, dass ein Mensch nach einer solchen Verletzung bei vollem Bewusstsein noch wenigstens fünfzehn Minuten lebt. Er hat die Wette gewonnen. Esst Ihr gar nichts?«
Hinrik schob die Fischsuppe von sich. Allzu sehr sprach seine Fantasie an, was der Gaukler geschildert hatte. Er sah die Bilder der Gefolterten vor sich.
|120| »Störtebeker liebt das Blut! Blut ist Leben. Wenn es verrinnt, geht das Leben
Weitere Kostenlose Bücher