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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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sprangen beinahe heraus. Sie wusste genau, was sie tat, und sie |115| schien enttäuscht zu sein, als Hinrik ihr nicht in den Ausschnitt starrte, sondern mit seinem Blick ihre Augen suchte. Sie war zweifellos sehr hübsch, sie wusste es, und sie setzte ihre Schönheit ein, um die Männer zu reizen, ihnen Hoffnung auf ein Abenteuer zu machen, das sie ihnen nicht gewähren würde, und so die Zeche in die Höhe zu treiben.
    Hinrik ließ sich nicht beeindrucken. Gelassen streckte er die Füße in Richtung Kaminfeuer aus und bat sie, ihm Bier und etwas Heißes zu essen zu bringen.
    »Wir haben Fischsuppe mit Lachs«, antwortete sie. Hinter ihr bemerkte Hinrik einen Gaukler, der durch die Tür trat. Mit einer Hand hielt er sich die bunt bestickte Ledermütze fest, die ein Zeichen seines Standes sein mochte, in der anderen hielt er ein Saiteninstrument. »Ihr könnt den Lachs haben, wie Ihr wollt. Gekocht oder gebraten.«
    »Die Suppe«, entschied er. »Schön heiß. Und dazu einen Krug Bier.«
    »Wenn Euch davon nicht warm werden sollte, setze ich mich zu Euch«, versprach sie mit einem verheißungsvollen Lächeln.
    Der Gaukler sah sich suchend um und entschied sich dann für Hinriks Tisch. Leise ächzend ließ er sich auf einen Stuhl sinken. Das Instrument legte er behutsam auf den Tisch, als wäre es besonders kostbar. Dann zupfte er an einer Saite. »Ich hoffe, Ihr habt nichts dagegen, wenn ich mich zu Euch setze«, sagte er. »An den anderen Tischen ist es mir zu laut.«
    Er war ein kleiner Mann mit einem schmalen Gesicht und einem sehr breiten Mund. Seine hochgezogenen Mundwinkel vermittelten den Eindruck, als würde er ständig lächeln. Seine grauen Augen aber, die von buschigen schwarzen Augenbrauen beschattet wurden, blickten |116| Hinrik ernst an. Sein Haar war grau und kurz geschoren. Während er sprach, hielt er den Kopf ein wenig schief, als würde eine unsichtbare Kraft an ihm zerren und ihn zwingen, sich nach rechts zu neigen. Müde fuhr er sich mit der Hand über die geröteten Augen. »Es war ein langer, schwerer Tag«, stöhnte er, während er die Beine ausstreckte. Er gähnte ausgiebig, und Hinrik konnte sehen, dass er oben nur noch drei und unten nicht mehr als fünf Zähne hatte, angesichts seines Alters von etwa vierzig Jahren nicht schlecht.
    Das Mädchen kehrte mit einem Krug Bier und einer Schale dampfender Suppe zurück. Als Hinrik zu essen begann, warf der Gaukler einen geringschätzigen Blick auf die Suppe. »Lachs, Lachs, jeden Tag Lachs«, seufzte er. »Ich kann diesen Fisch bald nicht mehr sehen. Man sollte sich den Likedeelern anschließen. Es heißt, dass bei Störtebeker und Gödeke Michel was Anständiges auf den Tisch kommt.«
    Hinrik blickte ihn erstaunt an. »Störtebeker? Wer ist das?«
    Der Gaukler blickte ihn so verblüfft an, als hätte er ihn gefragt, wo die Alster ist. An den anderen Tischen wurde man auf ihn aufmerksam, zumal das Serviermädchen ihm die Hände auf die Schultern gelegt hatte und seine Muskeln kräftig walkte.
    »He, Fieten Krai«, rief ein dunkelhaariger Mann, dessen Nase geradezu abenteuerlich schief stand. »Singt uns was! Wir zahlen Euch Euer Bier und das Essen, wenn Ihr uns was von den Likedeelern erzählt.«
    Das Mädchen setzte sich Hinrik auf den Schoß, schmiegte sich an ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich bin Berta. Seid auf der Hut vor Fieten. Er weiß ein wenig zu viel von Störtebeker und seinen Spießgesellen.«
    Von den benachbarten Tischen flogen einige derbe Bemerkungen |117| über das Mädchen herüber. Sie riefen Hinriks Zorn hervor, und er wollte das Mädchen zur Seite schieben, um darauf eine passende Antwort zu geben. Doch sie hielt ihn zurück.
    »Lasst sie«, bat sie ihn mit einem breiten Lächeln. »Ich bin es gewohnt, dass sie mich eine Hure nennen. So ist das nun mal, wenn man die Tochter des Wirts ist und solche Männer bedienen muss. Macht Euch nichts daraus.«
    Der Wirt kam und stellte ein Bier vor den Gaukler. »Den Krug für ein paar Worte«, versetzte er mit heiserer Stimme. Er war ein mittelgroßer Mann mit rotem Gesicht, schütteren blonden Haaren und wässrigen blauen Augen. »Was gibt es Neues von Störtebeker? Ein Mann wie Ihr kommt herum und erfährt mehr als unsereins. Es heißt, dass er über Winter in Verden war und dass Ihr ebenfalls dort gewesen seid.«
    »Wir sollten was von Störtebeker hören«, schlug der Korpulente vor. Er lachte. »He, Wirt, wenn du Fieten deine Tochter für die Nacht dazugibst, singt er

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